Donnerstag, 4. November 2021
Wie geht es dir?
Die Frage "Wie geht es dir?" ist für mich seit 2019 eine geladene Frage.

Es gibt auf diese so einfache Frage, gefühlt keine richtige Antwort mehr. Na klar, jeder hat mal bessere und mal schlechtere Tage. Nur ist seither das Spektrum der schlechten Tage um ein vielfaches weiter als vor dem Suizid. Wenn das Schlimmste was passieren kann, bereits passiert ist, sind die weiteren Tiefpunkte nicht mehr so unbeschreiblich und unerwartet Tief. (Gott sei Dank. XXX)

Ich hatte davor bereits Krisen überstanden: Scheidungskind, Mobbing, sitzen geblieben, Arbeitslos, Adipositas II. Grades, schmerzhafte Trennungen, Geldsorgen, Rechtsstreite also diverse Auswegslosigkeiten in einigen Farben und Facetten. Vielem davon bin ich entkommen: seit Jahren bin ich stabil im selben Beruf beim selben Arbeitgeber, in derselben liebevollen Beziehung, habe eine stabile Gesundheit trotz Schwächen, endlich wieder einen stabilen Kontostand.

Also ja, wir reden hier von Wohlstandsproblemen sicherlich und dennoch ist mein "Mir geht es gut." oder "Ich bin okay." bei weitem nicht dasselbe wie bei meinen Altersgenossen. Damit muss man erst mal klar kommen. Ich habe stetig das Gefühl hinterher zu hinken, aber ich bin nicht mehr in einem depressiven Loch. Also ja, auf meinem Spektrum, geht es mir gut.

Die Erbschaft befindet sich auf einem stabilen Weg in die richtige Richtung und das endlich aufgeteilt auf die sechs Schultern, die davon profitieren (werden). Meine Gesundheit stelle ich endlich wieder vorne an um die verdammten Blutdruck Tabletten loszuwerden, die mir erst durch die Suizid(Trauer)Spätfolgen verschrieben wurden. Ich denke endlich wieder vorwärts und nicht ständig, immerhin nur ab und an, rückwärts.

Ich fantasiere wieder vom Heiraten und Kinder kriegen. Ich mache konkrete Relatiätschecks. Wie viel Möbel braucht ein Kind? Passen diese Möbel in diese Wohnung noch rein? Ab wie viel Jahren braucht ein Baby ein Kinderbett? Kita und Kindergarten sind direkt nebenan, wie lange ist die Warteliste?
Wie groß würde ich Hochzeit feiern wollen? Nur die Familie und standesamtlich oder doch mit Priester und Freunden? Oder einfach nur wir zwei auf dem Standesamt und eine große Grillparty im Nachhinein mit Aufhänger 'Jahrestag Jubiläum 10+' anstelle 'Hochzeit', mit allen, die uns lieb sind?

Allein der Fakt, dass mein eigenes Leben wieder Fahrt gewinnt, ist Grund zur Freude für mich. Ich erwische mich beim Nestbau, beim Ausmisten, Keller entrümpeln, beim verschönern unserer Wohnung.
Ja, mir geht es besser. Trotz Pandemie, trotz Zukunftssorgen, trotz laufender Rechtsstreitigkeiten, trotz vorhandener Trauer.

Ja, mir geht es tatsächlich gut.

28.10.21

Bild: Drew Beamer | unsplash.com
https://unsplash.com/photos/xU5Mqq0Chck

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