Donnerstag, 18. März 2021
2. Todestag - Waldstück vs. Friedhof
Heute ist der zweite Todestag meines Vaters. Ich wollte aktiv meinem Vater an diesem Tag gedenken, aber ich wollte nicht an sein Grab. Die Vorstellung unter meiner jetzigen Anspannung auch nur einen meiner Verwandten zu treffen war mir zu viel. Also beschloss ich einen alternativen Weg zu beschreiten.

Ich habe mich erstmals seinem Todesort genähert. Es handelt sich um ein Waldstück in der Nähe einer, der Polizei bekannten, Gleiskurve. Diese Kurve ist unter Suizidanten beliebt, weil der Schaffner an dieser Stelle mit relativ schlechter Sicht seinen Zug beschleunigen muss und d.h. er kann nicht rechtzeitig bremsen, sobald er jemand oder etwas auf dem Gleis sieht. Mein Vater wusste das. Er war schon immer wissbegierig. Je mehr ihn etwas interessierte, je bessesener sog er das Wissen rundherum auf. (Wer weiß wo man so etwas nachliest.)

Jedenfalls habe ich schon damals beim Abholen seines zurückgelassenen Autos in dem Waldstück beschlossen, eines Tages diese Gleisstelle aufzusuchen. Sie mir wenigstens aus der Ferne anzusehen um es besser zu verstehen.

Ich vermute ich war dieser Stelle heute sehr sehr nahe. Obwohl diese Gleise fast gerade aussehen und ich mit bloßem Auge nicht sagen kann, ob es sich um diese langezogene Kurve handelt.

Die Gegend war so schön, dass ich anfangs fast vergass warum ich hier war. Aber als ich meinen Orientierungspunkt, ein Teich in der Nähe der Gleise, antraf wurde mir ein wenig mulmig. Der Kommisar meinte bereits, es sei nicht ganz einfach diese Böschung auf die Gleise runterzukommen.

Bild: (C) Privat
(C) privat

Mich trieb die Neugier, die vielen Fragen, die vielen Warums. Ich weiß nicht was ich hier finden wollte, aber ich wusste das es dort nicht sein würde. Und doch ging ich. Ich sah den Hang und wollte umkehren. Ich konnte nicht. Ich taxierte die Gegend. Ich fand einen weniger steilen Abhang/Abgang fern ab von jedem Wald- oder Betonweg und nahm den Abhang. Ich kam den Gleisen sehr sehr nah. Ich stand nur wenige Kletterschritte von den Gleisen entfernt. Sie sahen so gerade aus. War es die Stelle? Der Tag war Wolkenverhangen und natürlich wurden die Wolken dichter, kaum das ich hier und jetzt 'darüber' grübelte.

Ich bewegte mich vorsichtig. Es lag viel Laub auf dem Boden und es waren einige verregnete Tage vergangen. Also nahm ich mir ein Stock als Wanderstütze für mehr Halt. Ich war wie fremd getrieben. Ich wollte die Gleise sehen. Das mulmige Gefühl nahm zu und dennoch passierte nichts. Ich stand da, Mitten im Grünen und fragte mich erneut: Was suche ich hier? Was mache ich hier eigentlich?

Als ich einen Mann traf zuckte ich zusammen. Die ganze Zeit beschlich mich die Angst jemanden bei seinem letztem Gang zu erwischen, zu stören, zu behindern.
Wie soll man darauf reagieren? Was soll man da sagen?
"Tun Sie's nicht!", "Das Leben ist schön.", "Beenden sie nur diesen Lebensabschnitt. Setzen Sie sich doch irgendwo ab und fangen von Vorne an."... Ich weiß es nicht. Es gibt kein Rezept von richtigen Worten dagegen.

Erst als ich merkte, dass es ein ernst drein blickender Mann um die 40 oder 50 war, der aussah als könne er austeilen, fiel mir auf, dass mir hier draussen, ab vom Schuss, auch wer weiß was passieren könnte.

Kurz: Ich war in einem Drittel der Zeit wieder oben als die Zeit, die ich runter brauchte. Irrational. Es ist nichts passiert.

Es sind 2 Jahre bzw. 1 Jahr und 363 Tage vergangen und ich weiß nicht warum ein Mensch das je tun sollte. Ich bin zerbrochen in mein Leben und doch war ich nie soo am Ende, um mir so einen Gedanken zu Herzen zu nehmen. Mein Lebenswille hat schläge abbekommen, aber er war nie so zerrütet.

Bis heute kann ich es einfach nicht nachempfinden. Verstehen ansatzweise.
Nachempfinden absolut nicht.

Ich vermute das wird sich nie ändern. Hoffentlich.

29.1.21 | 2

Bild: (C) Privat

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Dienstag, 16. März 2021
2020
2020 war für viele Menschen schwer, auch für mich. Ich finde wir sollten uns alle v.a. an Neujahr daran erinnern:

Bild: Elephant Journal · 21. Juli 2020
Elephant Journal · 21. Juli 2020 · Facebook

"Leute geben sich selbst nicht genug Wertschätzung fürs Überwinden von Dingen und fürs Sich Erholen.
Wie das du es hierher geschafft hast. Zelebriere deine Kraft."


Verfasser unbekannt

4.8. / 31.12.2020

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Silvester 2020
Mein Jahr 2020 habe ich mit Vertrauten und sehr viel Gelächter beendet.
Alte und neue Traditionen bewusst genossen: Raclette Käse in rauen Mengen, Super Mario Kart spielen, gute Gesellschaft, Anstoßen auf bescheidene Wünsche (u.a. Glückskeksspruch "Auf dem direkten Weg erreichst du dein Ziel schneller." 😂), ein bisschen Lärm machen und meine bessere Hälfte küssen.
Wir werden auch dieses Jahr versuchen das Beste aus den geschenkten Tagen rauszuholen.
In diesem Sinne wünsche ich allen einen guten Neustart! Happy 2021!

1.1.21

Bild: Brent Gorwin | unsplash.com
https://unsplash.com/photos/-c2EzoCStOw

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Donnerstag, 11. März 2021
Scham: Vergleich Suizid versus Natürlicher Tod
Mir war nicht klar wie schwer es mir fallen würde Antworten auf überschaubare 13 Trauerkarten zu schreiben. Ganze zwei Tage meines Weihnachtsurlaubs habe ich hierfür benötigt. Manche Beileidskarten wirken nüchtern, klingen wie Anstandsgesten, manche Karten hingegen sind extrem persönlich und schmerzhaft zu lesen. Auf letztere angemessen zu antworten fühlt sich an wie ein Drahtseilakt. Aber ich habe schon immer mein Herz auf der Zunge getragen. Daher sind die Antworten hierauf auch persönlicher ausgefallen. Mit einer handvoll Eckdaten zum Todesfall selbst und einem Hauch meiner persönlichen Gefühle gespickt. Auch wenn ich alle Schreiben in Sie Form verfasst habe, spüre ich die Nähe der Absender zu meinem Großvater. So sehr ich mich davor gesträubt habe die Briefe überhaupt zu öffnen, so erleichtert war ich nach dem ersten Lesen.

Dieser Trauerfall schmerzt anders. Nach meines Vaters Suizid fühlt sich der Trauerfall meines 96 jährigen Großvaters nur noch wie ein Spaziergang durch unwegsames Waldgelände, wohingegen sich der Weg bei meinem Vater anfühlte wie Märsche an Märsche gereiht durch den Dschungel, die Savane, die Arktis und die Tundra. Das eine ist anstrengend, aber erträglich, das andere treibt einen ans Limit seiner Kräfte und darüber hinaus und lässt nicht viel von einem selbst übrig.

Vielleicht stumpft man auch ab mit jedem Todesfall. Vielleicht baut man schneller Schutzmauern und lässt es nicht so leicht an sich ran. Vielleicht liegt es an der eher dünn gesähten Präsenz meines Großvaters in meinem Alltag der letzten Jahre. Vielleicht bin ich einfach nur stärker oder gefestigter in meinem Charakter als früher. Ich weiß es nicht.

Ich weiß nur, dass es mir diesmal leichter fällt damit umzugehen und darüber zu reden. Ausgerechnet deswegen schäme ich mich ein wenig. Ich habe meinen Großvater geliebt und er war wichtig für mein Verständnis meiner Herkunft, meiner Familiengeschichte und auch sehr sehr wichtig für viele meiner Grundwerte, ja selbst meine Verbundenheit und Freude am Backen, an Literatur, an der Natur und mein stark ausgeprägter Hang zur Gewissenhaftigkeit. Sehr vieles in mir ergab erst richtig Sinn, nachdem ich meinen Großvater als Menschen kennenlernte und nicht bloß als meine liebste Vorlesestimme von Märchenbüchern. Seine baßlastige Stimme, sein Talent stimmen nachzuahmen und sein Gefühl für Pointen hoben ihn einfach über alle anderen Vorleser ab, die ich je kannte als Kind.

Ich verzeihe mir diese Scham zu meine Trauer.
Es ist einfach wahr. Ein natürlicher Tod schmerzt mich weniger als ein unnatürlicher und gewaltsamer Tod. Wertungsverbote hin oder her.

5.1.21

Foto: Simon Berger | unsplash.com
https://unsplash.com/photos/DZi0rnYrpWc

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