Donnerstag, 8. Juli 2021
Der Junge muss an die frische Luft (Film-/Buchkritik)
FILM: Der Junge muss an die frische Luft
2018 Deutschland, von Regisseurin Caroline Link, UFA Fiction GmbH / Warner Bros GmbH (Universal Pictures)


Ich habe mir den ganzen Film über gewünscht das große Warum und das Woher der Krankheiten der Mutter tiefer zu ergründen. Da der Film aber weder die Mutter noch ihr Krankheitsbild im Fokus hat, sondern eben Hape Kerkelings Kindheitserinnerungen, kann ich absolut verstehen, dass vielen Zuschauern dieses Niveau an Ergründung zu diesem Thema aus Kindheitsperspektive genügt. Der Film ist einfach auch für ein junges Publikum geeignet und geht vielleicht daher nicht so hart in die psychologische Theamtik hinein. So sehr ich mir das auch wünsche.

Der Film ist für mich großartig als Biografie und auch als Heimatfilm, gar keine Frage! Aber für jemand der diesen Film oder auch das Buch empohlen bekommt, aufgrund des Krankheitsbildes der Mutter, kratzen beide Medien eben nur an der Oberfläche der schwierigen Thematik. Auch wenn dies auf eine absolut liebevolle und mitfühlende Art geschieht.

Kurzum als Trauernde kann ich den Film auf jeden Fall als trostspendend und lebensbejahend weiterempfehlen.
Und auch als erster Kontakt zum Thema Suizid und Depressionen und Ihren Ursprüngen hat der Film viel für die Deutsche Allgemeinheit bewegt. Die Geschichte ist ein Eisbrecher ohne sachlichen Tiefgang zum Thema Suizid.


BUCH: Hape Kerkeling, Der Junge muss an die frische Luft - Meine Kindheit und ich, 2014 Piper Verlag GmbH, München, ISBN: 978-3-492-05700-4 Paperback, EUR 19,99

Zur Thematik Suizid liefert das Buch im Gegensatz zum Film noch einen zusätzlichen Denkanstoß, der mich neben der Beschreibung zum Verlust der Mutter sehr bewegt hat.
Herr Kerkeling schreibt vermutlich nach rückwirkender Analyse und Erörterung seiner Erinnerungen und Erfahrungen warum seine Mutter als es eskalierte nicht ins Krankenhaus oder die Psychiatrie gebracht wurde.

Er vermutet, dass sein Vater von dessen Vater gelernt hatte zum eigenen Schutz bestimmte Themen nie anzusprechen. [Zitat Kerkeling: Die Kultur der allgemeinen Verleugnung] ist, da Stimme ich dem Autor bei, eine tiefsitzende Krankheit der Nachkriegszeit.
Außerdem ist auch aus dieser Nachkriegszeit die Angst geblieben, aussortiert oder ausgegrenzt zu werden. Z. B. als behinderter oder kranker Mensch benachteiligt zu werden, ob nun direkt oder indirekt. [Zitat Kerkeling: Depressionen haben leider auch in den frühen 1970er Jahren noch den Beigeschmack von "Minderwertigkeit", "geistiger Behinderung" und "Irresein". Über so etwas spricht man nicht! Das hat es nicht gegeben.]

Herr Kerkeling liefert damit eine simple und schmerzlich treffende Erläuterung dafür, dass wir bis heute in Deutschland mit dem Stigma der Psychischen Krankheiten kämpfen. Es ist erstaunlich, dass Herr Kerkeling ganz Nebenbei, einem sehr weiten Publikum, auf diese so schwere Thematik hinweist und leicht verständliche Antworten liefert, die eigentlich nicht glasklarer sein könnten. Er bringt es ganz einfach auf den Punkt. [Zitat Kerkeling: Man kann und muss in angemessener Form über alles reden.]
Selbstverständlich ist Herr Kerkeling mit einem vorzüglichen Humor gesegnet und daher im Vorteil, wenn es um den Umgang mit Menschen und dem führen von schwierigen Dialogen geht. Dennoch bin ich der Meinung wir alle sollten, spätestens wenn es darauf ankommt, über alles reden können müssen. Über das Problem sprechen ist fast immer der erste Schritt Weg vom Suizid bzw. Suizidversuch.

Voll Reue kann ich das heute aus sehr persönlicher Perspektive bestätigen.

16.5./6.6.21

Hape Kerkeling, Der Junge muss an die frische Luft - Meine Kindheit und ich © 2018 Piper Verlag GmbH, München
Bild: Buchcover; Hape Kerkeling, Der Junge muss an die frische Luft - Meine Kindheit und ich © 2018 Piper Verlag GmbH, München


Kurze YouTube Filmkritik: «Der Junge muss an die frische Luft» von Caroline Link in «Keine 3 Minuten» vom SRF Kultur (Schweizer Radio und Fernsehen)

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Montag, 5. Juli 2021
Erneut ins Leben verlieben
Es ist schwer sich erneut ins Leben zu verlieben, wenn man sich bereits die Finger verbrannt hat. Wenn der Schmerz noch immer tief sitzt und man dennoch voller Lebensfreude ist. Es ist schwer.
Loslassen in sich ist keine schwere Sache, aber sich wirklich auf den Moment einlassen, trotz der Erfahrung und der Narben, das ist der schwere Teil.

Dabei gibt es so viel zu gewinnen und so wenig im Verhältnis dazu zu verlieren. Ich nehme mir vor, den Sprung zu wagen, dem Leben neu zu vertrauen, aber der Schmerz sitzt tief. Die Erfahrung, dass Liebe zu bitterlich schmerzhafter Trauer werden kann, hat Spuren hinterlassen. Das eine gibt es leider nicht ohne das andere. Im Idealfall liegt viel Zeit dazwischen, im schlechten Fall liegt etwas weniger Zeit dazwischen.

Hab' dich lieb' Vater. Hab' dich lieb' Großvater.

30.5.21

Bild: Cdd20 / pixabay.com
https://pixabay.com/de/illustrations/m%c3%a4nner-leere-seele-blumen-4052354/

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Donnerstag, 1. Juli 2021
Unvollkommheit: Robin Willams hat die Liebe verstanden
Sean Maguire und Will Hunting im Dialog:

Sean: Meine Frau hat immer gefurzt, wenn sie nervös war. Sie hatte die unmöglichsten Marotten. Sie hatte sogar gefurzt, wenn sie geschlafen hat. Entschuldige, wenn ich dir das erzähle, ein Mal war das so laut, dass der Hund davon wach geworden ist. Sie sagte: "Warst du das?". Ich sagte: "Ja". Weil ich zu feige war ihr die Wahrheit zu sagen.
Will: Wie sie ist selbst davon wach geworden?
Sean: Ja. Oh mein Gott. Meine Frau ist jetzt schon zwei Jahre tot, aber an sowas erinnere ich mich. Solche Erinnerungen sind etwas wunderbares. Diese Kleinigkeiten sind genau das, sind die Sachen, die mir am meisten fehlen. Diese kleinen Schruligkeiten von denen nur ich weiß. Die machten sie erst zu meiner Frau. Anders herum war es nicht anders. Sie kannte jede kleine Schwäche von mir. Die Leute nennen so etwas Unvollkommenheit, aber das ist es nicht im Gegenteil, dass macht das Leben erst aus.
Wir überlegen uns genau wen wir in unsere kleine Welt rein lassen.
Auch du bist nicht perfekt. Und um dir eine Unsicherheit zu ersparen, diese Frau die du da kennst, ist auch nicht perfekt. Die Frage ist, ob ihr für einander perfekt seid oder nicht. Nur darum geht es. Das alles macht Nähe aus. Du kannst von allem in der Welt ne Ahnung haben, aber um dass zu erfahren, musst du es schon erleben. Da kann dir so ein Zausel wie ich auch nicht helfen.
Selbst wenn ich's könnte. So einem Zausel wie dir würde ich es nicht auf die Nase binden, wenn ich's könnte.
Will: Warum nicht? Sie haben mir doch auch den anderen Müll erzählt. Scheiße sie labern noch mehr als die Psycho Heinis, die man sonst so kennt.
Sean: Ich unterrichte nur. Ich habe nicht gesagt, dass ich was davon verstehe.
Will: Ja. Haben sie mal daran gedacht wieder zu heiraten?
Sean: Meine Frau ist tot.
Will: Deshalb ja auch wieder heiraten.
Sean: Sie ist tot.
Will: Ja, ich finde ja, das ist eine Wahnsinns Philosophie. Auf die Art kommen sie durchs Leben ohne irgendwen jemals ernsthaft kennen lernen zu müssen.
Sean: Die Zeit ist um.

Dialogzitat aus dem Film "Good Will Hunting" von Gus Van Sant, 1997, USA, Paramount, Miramax, Be Gentlemen Limited Partnership, Lawrence Bender Productions

YouTube Video dieser Film-Szene:
Robin Willams hat die Liebe verstanden

notiert 13.05./06.06.

Bild: Pexels | pixabay.com
https://pixabay.com/de/photos/paar-h%c3%a4nde-h%c3%a4nde-halten-mann-frau-1845334/

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