Mittwoch, 1. Januar 2020
Jahresrückblick
anna mestisa, 17:27h
Am ehesten lässt sich mein Jahr 2019 im Rückblick mit den 5 Phasen der Trauer nach Elisabeth Kübler-Ross beschreiben:
Phase 1: Das Leugnen...
Phase 2: Der Zorn...
Phase 3: Das Verhandeln...
Phase 4: Die Depression...
Phase 5: Die Akzeptanz...
Januar
Die Ruhe vorm Sturm habe ich nicht erkannt. Meine Arbeit legt jährlich im Frühjahr an Fahrt zu, sodass ich den Frieden und die wachsende Unruhe in der Familie als Arbeitsstress abtat.
Februar
Die Phase 1 (Leugnen) hatte nicht viel Raum, weil schnell Krankenhauspersonal u.a. eine Traumatologie, zwei Polizisten, und eine Bestatterin involviert waren. Mein Funktionieren setzte instinktiv ein.
Februar bis Juli
Die Phase 2 (Zorn) habe ich mir selbst anfangs völlig verboten zu fühlen, sodass sich die Phase 3 (Verhandeln) sehr viel Platz erlaubte. Auch wenn sie mit Phase 1 (Leugnen) Pingpong spielte war Phase 3 (Verhandeln) bereits bei der Unterlagensuche für die Bestatterin omnipräsent. Sein Tod ergab einfach keinen Sinn.
Mai bis Oktober
Während ich für Vaters Nachlass funktionierte verhandelte ich regelrecht wider meinen depressiven Gefühlen. Ich würde mich als funktionale Depressive bezeichnen. Ich funktionierte mindestens ein dreiviertel Jahr, obwohl ich meine Depression bereits nach einem halben Jahr als solche erkannte, wenn auch nicht akzeptierte. Zusammenbrechen war für mich einfach nicht möglich. Ich hatte ja auf einmal eine kindlich hilflose Mutter in ihren 60igern und zwei launische Teenager Brüder in ihren 30igern zu beschützen.
Oktober bis Januar
Erst als der Nachlass in geregelte Bahnen geriet wurde langsam die Phase 2 (Zorn) lauter. Ich lies zum Teil los, weil ich den Zorn meiner Geschwister sah und erkannte. Und diesen ebenfalls fühlte. Das Gefühl im Stich gelassen zu sein, das Gefühl nie bzw. für mich nie lange sein Mittelpunkt gewesen zu sein, wurde sehr laut.
Die Frustration der Depression wechselte sich mit dem Zorn ab.
Um dann in der längsten Stille der Depression, während dem Warten der gerichtlichen Verhandlung und des nahenden Urteils zum Thema Mietrecht setzte die Phase 5 (Akzeptanz) erstmals richtig ein. Ich agiere das ganze Jahr schon mit einer infizierten offenen Wunde. Ich reflektierte endlich.
Bild: Alexander Milo | pixabay.com
Meine Seele ist erschöpft. Nie zuvor war meine Seele so erschöpft und verbraucht und Wund. Ich akzeptiere den Verlust und sein einhergehender Schaden. Ich akzeptiere eine andere zu sein ohne meine älteste Konstante, wenn auch widerwillig. Ich akzeptiere die Antwortlosigkeit seines Todes trotz dem lauten präsentem "Aber". Ich tue das in der Stille und im Lärm meines Lebens. Seit einem halben Jahr gehe ich nun monatlich in eine Selbsthilfegruppe für Trauernde von Suizid Hinterbliebenen und merke wie meine Trauer fast unbegrenzten Raum in ihr erhalten hat, die meine Familie nur in sehr kleinen Flächen zulässt und auch von meinem Lebensgefährten zu viel Platz abverlangt hat.
Ich hadere mit dem Zustand meiner Familie. Ich will die Arbeit an ihr niederlegen um an mir zu arbeiten, fürchte mich aber zu sehr vor ihrem Verlust. Das neue Jahr muss viel Ich und viel mein Partner & Ich im Vordergrund haben, sonst wird meine Seele nicht heilen können. Ich weiß das, aber fürchte mich vor dem Wie.
Dieses Jahr war kräftezehrend und hat mich auf ungeahnte Weise schmerzlich enorm wachsen lassen.
Dieses Jahr habe ich erkannt, das für mich Arbeit Mittel zum Zweck ist und mich nur unwesentlich definiert. Das im Grunde nur die Menschen, das Gehalt und meine Entfaltungsmöglichkeiten mich an die Arbeit binden. Da zwei von drei Faktoren schrumpfen, sinkt das Gewicht dieser Lebenssäule.
Dieses Jahr hat mich dem Kern meines sozialen Umfelds näher gebracht und mich vom unwesentlichen Teil meines sozialen Umfelds entfernt. Das ist eine erstaunliche, wenn auch schmerzhafte, Erfahrung.
Dieses Jahr hat meine Beziehung an seine Grenzen und darüber Hinaus befördert. Wir sind unsere eigene Familie, ein kleiner fragiler wachsender Ableger unserer Eltern und zugleich unsere eigene Liebesgeschichte.
Dieses Jahr hat mich meinen Bedürfnissen, meinen Bewältigungsmechanismen, meinen Leidenschaften näher gebracht. Wenn man sich selbst verliert, findet man sich selbst in seinen Leidenschaften am schnellsten wieder. Wenn ich Musik wie die von Lizzo höre, lebe und feiere, ... Wenn ich mit Farben in aller Ruhe kleckere, ... Wenn ich Chemie anwende um genussvolles Gebäck zu erschaffen, bin ich ganz bei mir. Dann spür ich mich selbst in meinen Leidenschaften wieder. Zu Wissen wer man ist, erleichtert die Selbstversorgung immens.
Bild: Aldertree | pixabay.com
Ich bin froh 2019 in naher Zukunft im Rückspiegel vorbeiziehen zu sehen. Ich bin froh im Februar 2020 mein erstes Trauerjahr überstanden zu haben. Die Angst vorm zweiten Trauerjahr ist präsent, aber ich kenne meine Lebensfreude und weiß woher sie Kraft schöpft.
Also nehme ich all meinen Mut zusammen und hoffe auf ein gutes neues Jahr 2020... mit Urteil, mit Familie auch ohne Zusammenhalt, mit Therapie, mit viel Arbeit vor mir.
30.12.19
Phase 1: Das Leugnen...
Phase 2: Der Zorn...
Phase 3: Das Verhandeln...
Phase 4: Die Depression...
Phase 5: Die Akzeptanz...
Januar
Die Ruhe vorm Sturm habe ich nicht erkannt. Meine Arbeit legt jährlich im Frühjahr an Fahrt zu, sodass ich den Frieden und die wachsende Unruhe in der Familie als Arbeitsstress abtat.
Februar
Die Phase 1 (Leugnen) hatte nicht viel Raum, weil schnell Krankenhauspersonal u.a. eine Traumatologie, zwei Polizisten, und eine Bestatterin involviert waren. Mein Funktionieren setzte instinktiv ein.
Februar bis Juli
Die Phase 2 (Zorn) habe ich mir selbst anfangs völlig verboten zu fühlen, sodass sich die Phase 3 (Verhandeln) sehr viel Platz erlaubte. Auch wenn sie mit Phase 1 (Leugnen) Pingpong spielte war Phase 3 (Verhandeln) bereits bei der Unterlagensuche für die Bestatterin omnipräsent. Sein Tod ergab einfach keinen Sinn.
Mai bis Oktober
Während ich für Vaters Nachlass funktionierte verhandelte ich regelrecht wider meinen depressiven Gefühlen. Ich würde mich als funktionale Depressive bezeichnen. Ich funktionierte mindestens ein dreiviertel Jahr, obwohl ich meine Depression bereits nach einem halben Jahr als solche erkannte, wenn auch nicht akzeptierte. Zusammenbrechen war für mich einfach nicht möglich. Ich hatte ja auf einmal eine kindlich hilflose Mutter in ihren 60igern und zwei launische Teenager Brüder in ihren 30igern zu beschützen.
Oktober bis Januar
Erst als der Nachlass in geregelte Bahnen geriet wurde langsam die Phase 2 (Zorn) lauter. Ich lies zum Teil los, weil ich den Zorn meiner Geschwister sah und erkannte. Und diesen ebenfalls fühlte. Das Gefühl im Stich gelassen zu sein, das Gefühl nie bzw. für mich nie lange sein Mittelpunkt gewesen zu sein, wurde sehr laut.
Die Frustration der Depression wechselte sich mit dem Zorn ab.
Um dann in der längsten Stille der Depression, während dem Warten der gerichtlichen Verhandlung und des nahenden Urteils zum Thema Mietrecht setzte die Phase 5 (Akzeptanz) erstmals richtig ein. Ich agiere das ganze Jahr schon mit einer infizierten offenen Wunde. Ich reflektierte endlich.
Bild: Alexander Milo | pixabay.com
Meine Seele ist erschöpft. Nie zuvor war meine Seele so erschöpft und verbraucht und Wund. Ich akzeptiere den Verlust und sein einhergehender Schaden. Ich akzeptiere eine andere zu sein ohne meine älteste Konstante, wenn auch widerwillig. Ich akzeptiere die Antwortlosigkeit seines Todes trotz dem lauten präsentem "Aber". Ich tue das in der Stille und im Lärm meines Lebens. Seit einem halben Jahr gehe ich nun monatlich in eine Selbsthilfegruppe für Trauernde von Suizid Hinterbliebenen und merke wie meine Trauer fast unbegrenzten Raum in ihr erhalten hat, die meine Familie nur in sehr kleinen Flächen zulässt und auch von meinem Lebensgefährten zu viel Platz abverlangt hat.
Ich hadere mit dem Zustand meiner Familie. Ich will die Arbeit an ihr niederlegen um an mir zu arbeiten, fürchte mich aber zu sehr vor ihrem Verlust. Das neue Jahr muss viel Ich und viel mein Partner & Ich im Vordergrund haben, sonst wird meine Seele nicht heilen können. Ich weiß das, aber fürchte mich vor dem Wie.
Dieses Jahr war kräftezehrend und hat mich auf ungeahnte Weise schmerzlich enorm wachsen lassen.
Dieses Jahr habe ich erkannt, das für mich Arbeit Mittel zum Zweck ist und mich nur unwesentlich definiert. Das im Grunde nur die Menschen, das Gehalt und meine Entfaltungsmöglichkeiten mich an die Arbeit binden. Da zwei von drei Faktoren schrumpfen, sinkt das Gewicht dieser Lebenssäule.
Dieses Jahr hat mich dem Kern meines sozialen Umfelds näher gebracht und mich vom unwesentlichen Teil meines sozialen Umfelds entfernt. Das ist eine erstaunliche, wenn auch schmerzhafte, Erfahrung.
Dieses Jahr hat meine Beziehung an seine Grenzen und darüber Hinaus befördert. Wir sind unsere eigene Familie, ein kleiner fragiler wachsender Ableger unserer Eltern und zugleich unsere eigene Liebesgeschichte.
Dieses Jahr hat mich meinen Bedürfnissen, meinen Bewältigungsmechanismen, meinen Leidenschaften näher gebracht. Wenn man sich selbst verliert, findet man sich selbst in seinen Leidenschaften am schnellsten wieder. Wenn ich Musik wie die von Lizzo höre, lebe und feiere, ... Wenn ich mit Farben in aller Ruhe kleckere, ... Wenn ich Chemie anwende um genussvolles Gebäck zu erschaffen, bin ich ganz bei mir. Dann spür ich mich selbst in meinen Leidenschaften wieder. Zu Wissen wer man ist, erleichtert die Selbstversorgung immens.
Bild: Aldertree | pixabay.com
Ich bin froh 2019 in naher Zukunft im Rückspiegel vorbeiziehen zu sehen. Ich bin froh im Februar 2020 mein erstes Trauerjahr überstanden zu haben. Die Angst vorm zweiten Trauerjahr ist präsent, aber ich kenne meine Lebensfreude und weiß woher sie Kraft schöpft.
Also nehme ich all meinen Mut zusammen und hoffe auf ein gutes neues Jahr 2020... mit Urteil, mit Familie auch ohne Zusammenhalt, mit Therapie, mit viel Arbeit vor mir.
30.12.19
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