Donnerstag, 7. Oktober 2021
Erinnerung: Euer Zuhause
Eine September Woche habe ich nun hier allein in D. im Haus meiner verstorbenen Großeltern verbracht um aktiv Loszulassen und meinem Herzen Raum für einen Abschied zu schaffen. Das Haus liegt am Ortsrand und damit sehr nah am Wald sowie am W. Tal.

Mein Vater wuchs in diesem Haus auf; erbaut wurde es mit den Händen meines Großvaters; bezogen mit nur zwei fertigen Räumen; und direkt abbezahlt komplett ohne Kredit; fertiggestellt in 1960; als eine der ersten Familien der Straße bezogen; und bis zum Schluss gehegt und gepflegt, allen voran den riesigen zugehörigen Garten.

Meine Kindheit ist gespickt mit Erinnerungen von Feiertagen und Sommerferien im Grünen, im gemütlichsten Zuhause, mit so viel Liebe zum Detail. In diesem Haus habe ich so viel gebastelt wie ich nur konnte; habe Pudding kochen gelernt; meine ersten Versuche auf dem Fahrrad unternommen; habe die ersten Backversuche als Helferken unternommen; habe meiner Großmutter Pancit (Philippinische gebratene Glasnudeln) kochen beigebracht; und habe die wohl besten Stunden auf der Couch mit meinen zwei liebsten Geschichtenerzählern in Bestform erlebt.

Es ist nur ein Haus und doch war es lange unsere (Bonus-)Heimat. Meine Großeltern fehlen hier.
Jetzt ist es eher eine Hülle voller Erinnerungen ohne Seele. Alles muss ein Ende haben... Leider.

14.9.21

Bild: Heimat © Privat
© Privat

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Dienstag, 17. August 2021
Science-Fiction Sinnsuche
Manchmal höre ich mir das Titellied vom Film Interstellar von Hans Zimmer an (YouTube Link zum Video). Dann stelle ich mir vor wie es wäre, wenn mein Vater mich bloß verlassen hat, um mich, meine Welt, meine Zukunft zu retten. So wie es der Astronaut in dem Film durchzieht. Er weiß, wenn er zurückkehrt, dann wird er vermutlich deutlich jünger als seine Tochter und sein Sohn sein, aufgrund dessen wie sich Zeit auf dieser Reise in fremden Sphären und auf den anderen Planeten verhält.

Was wäre, wenn mein Vater sich das Leben genommen hat um meine Zukunft zu sichern? Wenn er vermeiden wollte, dass sein Scheitern sein Umfeld (d.h. auch mich) beeinflusst? Er hatte Schulden angehäuft. Vermutlich sah er sich selbst als gescheiterte Existenz. Mein Herz bricht jedes Mal bei dem Gedanken. Vielleicht wollte er uns die Wahl lassen, sein Erbe auszuschlagen und das meines Großvaters anzunehmen???

Die Wahrheit hat er mitgenommen. Zurück gelassen hat er Theorien, Ideale und Werte, sowie Enttäuschungen und einen fetten Haufen unempfangene Liebe.
Manchmal möchte ich glauben, dass er es nur getan hat um uns Kinder zu schützen vor seiner Dunkelheit, seinen Fehlern, seinen Entscheidungen. Manchmal rede ich mir die Geborgenheit eben ein, auch wenn sie nicht da ist. So wie Murphy (die hinterlassende Astronauten Tochter) im Film. Sie hält die Zeichen in ihrem Kinderzimmer für Signale eines freundlichen Gespenst. In der Geschichte ist es jedoch ihr abwesender Vater, der ihr sein Wissen unkonventionell übermittelt.

Manchmal wenn ich in der freien Natur bin, strecke ich die Arme aus und versuche zu empfangen was immer Gott und/oder das Universum mir mitteilen möchte. Seit mein Vater verstorben ist, halte ich auch für ihn die Arme auf Empfang. Man weiß nie was einen erreicht... und wenn es nur positive Energie ist.

17.8.21

Bild: itsviktoriaschubert | pixabay.com
https://pixabay.com/de/photos/natur-sonnenuntergang-sonnenstrahlen-4699236/

mehr zum Film:
Interstellar USA/UK 2014, von Regiesseur Christopher Nolan, Abenteuer/Drama/Sci-Fi, Paramount Pictures / Warner Bros. Pictures / Legendary Entertainment
siehe auch Filmstarts.de inkl. Filmkritik

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Donnerstag, 1. Juli 2021
Unvollkommheit: Robin Willams hat die Liebe verstanden
Sean Maguire und Will Hunting im Dialog:

Sean: Meine Frau hat immer gefurzt, wenn sie nervös war. Sie hatte die unmöglichsten Marotten. Sie hatte sogar gefurzt, wenn sie geschlafen hat. Entschuldige, wenn ich dir das erzähle, ein Mal war das so laut, dass der Hund davon wach geworden ist. Sie sagte: "Warst du das?". Ich sagte: "Ja". Weil ich zu feige war ihr die Wahrheit zu sagen.
Will: Wie sie ist selbst davon wach geworden?
Sean: Ja. Oh mein Gott. Meine Frau ist jetzt schon zwei Jahre tot, aber an sowas erinnere ich mich. Solche Erinnerungen sind etwas wunderbares. Diese Kleinigkeiten sind genau das, sind die Sachen, die mir am meisten fehlen. Diese kleinen Schruligkeiten von denen nur ich weiß. Die machten sie erst zu meiner Frau. Anders herum war es nicht anders. Sie kannte jede kleine Schwäche von mir. Die Leute nennen so etwas Unvollkommenheit, aber das ist es nicht im Gegenteil, dass macht das Leben erst aus.
Wir überlegen uns genau wen wir in unsere kleine Welt rein lassen.
Auch du bist nicht perfekt. Und um dir eine Unsicherheit zu ersparen, diese Frau die du da kennst, ist auch nicht perfekt. Die Frage ist, ob ihr für einander perfekt seid oder nicht. Nur darum geht es. Das alles macht Nähe aus. Du kannst von allem in der Welt ne Ahnung haben, aber um dass zu erfahren, musst du es schon erleben. Da kann dir so ein Zausel wie ich auch nicht helfen.
Selbst wenn ich's könnte. So einem Zausel wie dir würde ich es nicht auf die Nase binden, wenn ich's könnte.
Will: Warum nicht? Sie haben mir doch auch den anderen Müll erzählt. Scheiße sie labern noch mehr als die Psycho Heinis, die man sonst so kennt.
Sean: Ich unterrichte nur. Ich habe nicht gesagt, dass ich was davon verstehe.
Will: Ja. Haben sie mal daran gedacht wieder zu heiraten?
Sean: Meine Frau ist tot.
Will: Deshalb ja auch wieder heiraten.
Sean: Sie ist tot.
Will: Ja, ich finde ja, das ist eine Wahnsinns Philosophie. Auf die Art kommen sie durchs Leben ohne irgendwen jemals ernsthaft kennen lernen zu müssen.
Sean: Die Zeit ist um.

Dialogzitat aus dem Film "Good Will Hunting" von Gus Van Sant, 1997, USA, Paramount, Miramax, Be Gentlemen Limited Partnership, Lawrence Bender Productions

YouTube Video dieser Film-Szene:
Robin Willams hat die Liebe verstanden

notiert 13.05./06.06.

Bild: Pexels | pixabay.com
https://pixabay.com/de/photos/paar-h%c3%a4nde-h%c3%a4nde-halten-mann-frau-1845334/

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Donnerstag, 17. Juni 2021
Heimat
Ich bin in einem anderen Bundesland aufgewachsen als mein Vater. Ich bin in einem anderen Kontinent und Klima aufgewachsen als meine Mutter.

Dennoch gab es immer ein Zuhause in meinem Leben. 🏡 Zuhause war immer der Ort an dem ich lebte oder lebe. Aber Heimat war nie nur ein Ort, nie nur eine Stadt.

Heimat ist in dem Haus meiner Großmutter auf dem Dorf ab vom Schuss, aber nicht all zu weit von Manila der Landeshauptstadt entfernt. Es war immer heiß, laut, umtriebig. Der Späti ähnliche Schuppen meiner Großmutter neben dran sorgt immer zu für Passanten auf dem Heimweg.
Von den vielen Verwandten waren die meisten von hier in Laufähe anstatt von Deutschland den halben Erdball entfernt. Und dennoch war ich nie fremd für meine Familie. Im Gegenteil jeder kannte mindestens eine mir peinliche Kindergeschichte. Und die Wärme war immer da. Und doch hat es immer 3 von 6 Wochen Besuch gedauert bis ich mich zuhause fühlte.

Hingegen war das Haus meiner Großeltern in D. mir durch und durch vertraut. Es hat nie eine Aufwärmphase gebraucht. Ich wusste genau wo, alles steht. Ich fühlte, dass ich hier jederzeit Willkommen war. Ich wurde immer betüdelt. Meine Großeltern, vor vielen vielen Jahren selbst Gastwirte, genossen es jemanden zu versorgen. Es hat viele Diskussionen und Jahre gedauert bis ich beim Spülen helfen durfte. Es hat Einzelbesuche gekostet meinen Großeltern das Fremdlen auszutreiben. Aber mir ist es geglückt. Sie haben sich endlich in meiner Gegenwart entspannt. Sie wussten ich komme so oder so wieder. Auch ohne Bären oder Smiley Lyoner, ohne Fruchtzwerge und ohne Pudding. Letzteren gab es dennoch bei jedem Besuch. "Nur für alle Fälle..." sagte Oma gern dazu. Mein Vater liebte seinen Schwarz-Rot-Goldenen (Schokolade-Beere-Vanille) Pudding/Götterspeise Dessert.

Heimat war nicht mal zwingend das vertraute Haus, den bekannten Dekor und Betten, ganz die Handschrift meiner Oma. Der Vertrauten Leder Couch Sessel Ecke in der wir jeden Abend manchmal mit Obst oder einem Schnaps saßen und uns Geschichten bis spät in den Abend erzählten. Wir haben den Fernseher nie dabei vermisst. Der traumhafte Garten in dem wir als Kinder rumgetollt sind mit dem Teich, den mein Vater an einem Nachmittag mit einem Freund in jugendlichem Ehrgeiz zwei Meter tief ausgebudelt hatte, noch immer mit den Goldfischen darin.

All das waren die Äußerlichkeiten. Sicher diese Gegend ist ein Wohnparadies für den Lebensabend, aber das war nicht der Grund für mein Heimatgefühl.

Es war die Hausmannskost meiner Oma, Kartoffelsuppe, Hase, Braten, ach was immer das Herz begehrte. Sie konnte so ziemlich jede gute Deutschen Klassiker kochen und mein Opa hat die beste Schokotorte serviert oder worauf er dies mal Muße hatte. Die beiden waren eine gut geölte Maschine, das erfahrenste Team, die dicksten Freunde. Meine Vorbilder.

Nach dem nun beide verstorben sind, ist da zwar noch die alte Küche mit den Rezeptbüchern, das Geschirr, aber ohne die Erfahrung, ohne die geübten Hände und ihre Handgriffe. Das Wohnzimmer ist dasselbe, aber die Geschichten sind nicht mehr zu hören, die Stimmen sind verstummt. Die Werkzeuge und das größte eigene Meisterwerk, das eigene Haus 1960 nach vielen harten Jahren Nachkriegszeit mit eigenen Händen erbaut, steht nun hier ohne Seele, ohne meine Heimat. Meine Heimat an diesem Ort ist verschwunden. Eure Präsenz ist nur noch am Grab auf dem Friedhof ums Eck zu spüren.

Und dann war da natürlich noch die alte Wohnung meiner Mutter. Die letzte Wohnung in der noch alle drei Kinder wohnten. Das war auch lange Heimat. Der Geruch des Sonntag Essens war immer bereits auf der Straße wahrzunehmen. Ich erinnere mich an meine letzten heimlichen Heimkomm Momente, wenn ich meinen Zapfenstreich überschritten hatte... Alles muss ein Mal enden.

Mit meinen Großeltern ist eine wichtige Heimat verschwunden.
Ihr fehlt. Alle beide.
Eure Stimmen. Eure Werte. Euer Zuspruch. Eure Orientierung. Eure Anerkennung. Eure Liebe.

Ich bin so dankbar, dass mein Lebenspartner euch beide noch kennenlernen durfte. So wie ihr eigentlich immer wart: die leitende Vernunft und die lebendig gewordene Geborgenheit in zwei Menschenseelen. Euer Andenken halte ich fest.

9./26.5.21

Bild: © Privat
(C) privat

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Donnerstag, 15. April 2021
Erinnerung: Sicherheitsgefühl
Ich erinnere mich an das Sicherheitsgefühl, dass ich auf den Schultern meines Vaters sitzend als Kind hatte. Ich war sechs oder fünf Jahre alt als wir in Orlando Florida im Diseny World Park unterwegs waren.

Ich erinnere mich an mich in einem pastel lachsfarbenen Set T-Shirt und Shorts. Ich hatte eine Cappy auf als Sonnenschutz und eine mini mini Umhängetasche. Mein Vater trug auch Freizeitkleidung T-Shirt und Shorts und er trug seine Panzerbrille mit diesem albernen Aufsatz, den man runterklappen konnte und so eine Sonnenbrille hatte (2 in 1). In den 80-90igern war das akzeptabel, aus heutiger Ästhetik schmunzele ich amüsiert bei dem Anblick immer.

Woran ich mich sehr gut erinnern kann, war die Euphorie von uns Kindern. Das erste Mal in den USA und wir waren in dem Sommer in so ziemlich allen auch im Ausland bekannten amerikanischen Parks an der Ostküste. Meine Brüder waren scharf auf jedes einzelne Fahrgeschäft. Und auch unsere zwei amerikanischen Cousins waren wild auf jede einzelne Fahrt.

Die Tage waren lang... Jedenfalls war es sicherlich nachmittags als meine Vater mich auf seinen Schultern trug um mich ruhig zu stellen. Ich war da oben sooo groß und hatte einfach die beste Sicht auf Alles in 2 Metern Höhe. Ich hab mich absolut geborgen gefühlt.

Das einzige womit man mich quengelfrei von seinen Schultern runter bekam war ein Micky Maus Vanille Eiscreme mit Schokoladenüberzug in der Umrissform der berühmten Maus. Ich war überglücklich an diesem Tag.

Heute frage ich mich, hat mein Vater sich je so geborgen gefühlt auf den Schultern meines Großvaters? Ob mein eher religiös skeptischer Großvater und mein religiös unentschlossener Vater sich im Himmel wiedergesehen haben oder es werden?

29.1.21 | 1

Bild: Kelly Sikkema | unsplash.com
https://unsplash.com/photos/beg4vkagLzs

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Dienstag, 16. März 2021
Silvester 2020
Mein Jahr 2020 habe ich mit Vertrauten und sehr viel Gelächter beendet.
Alte und neue Traditionen bewusst genossen: Raclette Käse in rauen Mengen, Super Mario Kart spielen, gute Gesellschaft, Anstoßen auf bescheidene Wünsche (u.a. Glückskeksspruch "Auf dem direkten Weg erreichst du dein Ziel schneller." 😂), ein bisschen Lärm machen und meine bessere Hälfte küssen.
Wir werden auch dieses Jahr versuchen das Beste aus den geschenkten Tagen rauszuholen.
In diesem Sinne wünsche ich allen einen guten Neustart! Happy 2021!

1.1.21

Bild: Brent Gorwin | unsplash.com
https://unsplash.com/photos/-c2EzoCStOw

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Montag, 8. März 2021
Heiligabend mit BTS und Co.
Seit mein Vater verstorben ist, ist der Asiatisch / Amerikanische Musikanteil bei Familienessen stark gestiegen. Mein Stiefvater legt gerne kitschige Musik auf. Zu Weihnachten noch mehr.
Um meine Mutter aufzuziehen legt er beim Dessert dann BTS* Weihnacht Musikvideos auf (*Bangtan Sonyeondan, eine südkoreanische Boygroup Band).

Und aus purer Laune und Präsenz diskutiert die ganze Familie die Stilmittel und Looks der Akteure in den Musikvideos. Außerdem rätselraten wir wer aus der Boygroup der favorisierte Sänger meiner Mutter sein mag. Ja, eine Frau in ihren sechzigern zelebriert K-Pop (Korean Pop) mit Sängern, die ab 30 zum alten Eisen gehören.

Die Videos sind kitschig, fröhlich, berechnend und unterhaltsam. Also warum nicht??! Es ist schon komisch was eine Familie zur Diskussion anregt.

Aber warum auch immer... Hallo K-Pop Phänomen! 😉 ✌️

24.12.20

Bild: Bulletproof7bts, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:BTS_performing_on_July_27,_2013_02.jpg

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Montag, 1. März 2021
4 Uhr 20 - Unsere alte deutsche Eiche
Mein Zustand

Es ist 4:20 als ich aufwache. Das Koffein in meinem Körper zwingt meine Blase deutlich früher von der Couch. Ich spüre meine wunden Muskeln vom Vortag. Ich habe mich eindeutig übernommen. Langsam erinnere ich mich. Meine Muskeln zwingen mich, mich zu erinnern. Ich spüre meine gestauchten Bandscheiben. Sie heulen auf bei dem Gedanken aufzustehen und dennoch muss ich. Im Schneckentempo drehe und wälze ich mich herunter von der Couch. Ich trotte im fast Dunkeln auf die Toilette. Es ist das wohl erdenste Gefühl der Welt, seiner Natur auch unter Schmerzen nachzukommen in der knappen vorhanden Würde. Ich denke an meinen Großvater, der bis zum Schluss versucht hat Bettpfannen zu meiden. Ich sitze in meinem physischen Schmerz da und spüre meine Gedanken kreisen. Mein Körper gehorcht mir widerwillig, aber Krampf frei. Ich wasche mir die Hände im Halbdunklen. Ich trotte in Zeitlupe zurück zur Couch. Neben ihr liegt mein Lebensgefährte direkt auf der Matratze auf dem Boden mit seiner Bettdecke wie gewohnt platziert. Als wohne er bereits hier, als wären wir nicht erst gestern hier eingezogen unter großen Schmerzen. Wie so etwas Banales wie ein Umzug uns physisch so massiv ermüdet. Uns so massiv in meine kaputten Knie zwingt. Das ist Leben. Leben ist nichts anderes als eine Aneinanderkettung von Leiden mit lichten Momente dazwischen.


Umzug - Demut

Ich bin dankbar, so so so unendlich dankbar für die Hilfe unserer zwei Freunde und meines Neffen. Die stetigen Runden im alten und neuen Treppenhaus ermüden alle Beteiligten. Ich bin fasziniert über die scheinbar nahezu Unverwundbarkeit der Jugend meines Neffen. Er sollte ausgehen und nicht wegen Corona aufs Tanzen gehen verzichten. Er sollte etwas erleben. Stattdessen ist er an einem Sonntag, auch noch dem 2. Advent, pflichtbewusst bereits um 8 Uhr in der Bahn auf dem Weg zu uns um uns zu helfen. Außerdem ist Nikolaus. Das wird mir nochmal deutlich als im leer geräumten Treppenhaus der alten Wohnung bei den Nachbarn vor der Tür ein süßes kleines Häufchen Nüsse, Mandarine und Schokolade liegt. Ich sollte zu gestresst sein um das wahrzunehmen, aber ich nehme es dennoch wahr mit leichtem Wehmut. Die Unschuld, auf die diese Geste für gewöhnlich trifft, erfreut mich. Auch wenn in diesem Fall kein Kind involviert ist.
Ich bin diese Treppe alleine an dem Tag gefühlte hundert, vermutlich 30-50 Mal leer rauf und beladen runter gelaufen.

Ein ereignisreicher Tag näherte sich seinem letzten Drittel. Meine beiden Fahrer sahen sich noch etwas um in unserer neuen Wohnung und machten eine kleine Raucherpause, ehe sie wieder gingen. Meine Freundin nahm mein Bargeld für den Mietwagen und meinen Dank, aber verzichtete auf ein selbst gekochtes Essen von mir, aufgrund des Zeitfensters bzgl. der Automiete. Sie ist nicht grundlos meine kleine Schwester, anstelle meiner besten Freundin. Wir sind zu dem geworden was wir beide sind, aufgrund solcher gegenseitiger praktischer und mentaler Hilfestellungen in schwierigen Zeiten. Sie ist zwar erst ein Drittel meines Lebens meine kleine Schwester, aber sie hat einen Ehrenplatz in meinem Herzen.

Mein Neffe isst und plaudert mit uns, während ich noch voller Tatendrang und Adrenalin nicht anders kann als Taschen voll Kleider zusammen zu stellen, Platz zu schaffen und die ersten Möbelstücke aufzubauen. Mein Neffe hat zwar längst seine Entlohnung mitTrinkgeld bekommen, aber unterhält sich gemütlich und aufladend weiter. Er ist so voller Lebenshunger und Hunger. Ich freue mich über seine Energie und seine wachsende gedankliche Selbstständigkeit.
Ich bringe mich hier und da im Dialog ein, bin aber sichtlich auf ein Möbelstück konzentriert. Ich bin beim zweiten Möbelstück als er beschließt zu gehen.
Er lässt mich und meinen F. zurück. Ich bin erschöpft. Ich küsse F.. Noch sind wir zu geladen um wehleidig zu sein, dass sollte sich schnell ändern. Ich spürte den Schmerz in den Füßen noch nicht.


Großvaters Tod

Ich erinnerte mich auch nur vage an den Tod meines Großvater vor neun Tage vorm Nikolaustag. Dieser Advent war bereits durch den Umzug dazu verdammt ohne Dekoration und ohne meinen gewöhnlichen großen jährlichen Wochenend-Backplan auszukommen. Aber das mein Großvater im stolzen Alter von 96 Jahren an Wasser in der Lunge leidend, während Aufenthalt im Krankenhaus an Lungenentzündung erkrankt und verstirbt habe ich dennoch nicht kommen sehen oder erahnen können. Es sticht daran zu denken.


Großvaters Person

Es sticht mich an das gestrige Telefonat mit Pfarrer G. zu erinnern. Die Dinge die ich ihm erzählte um meinen Opa durch meine Augen zu beschreiben: Seine bodenständige und eiserne Arbeitskraft als Kriegsüberlebender, seine Berufsvielfalt, seine Menschenfreude, seine große Liebe (fast sechzig Jahre durch dick und dünn bis zu ihrem Ende), sein Ansehen und der ihm zuteil gewordene Respekt in seiner Straße, Wohngegend und seit Kindsbeinen Heimat. Er war im Leben bereits ein Urgestein, ein harter Knochen. Er überlebte seine zehn Jahre jüngere Ehefrau um vier Jahre und seinen einzigen Sohn knapp zwei Jahre. Ich war immer voll Demut und Respekt ihm gegenüber, noch mehr je mehr ich von ihm erfuhr. Er schmierte keinem seinen Erfolg aufs Brot, aber hörte man zu, konnte er Geschichten noch und nöcher erzählen, inklusive Hintergründen und technischer, mechanischer Sachkenntnis. Er hatte die klassische tiefe warme Opa-Stimme. Er war und bleibt unser Geschichtenerzähler. Als wir uns verabschiedeten war er kaum noch da und atmete so schwer das man ihn gar nicht zwingen wollte länger zu leiden und zu bleiben. Er war schrecklich ausgemergelt. Das Rasselgeräusch in seinen Lungen trieb meinen Bruder nach einigen Minuten aus dem Raum. Vielleicht wollte er bloß rauchen. Vielleicht war es ihm zu viel. Ich musste es nicht wissen. Ich hatte Angst Opa zu berühren, Angst seinen Sauerstoffschlauch zu Nahe zu kommen. Er atmete selbstständig. Ein Beatmungsgerät hätte er abgelehnt.


Abschied nehmen

Mir war sofort klar was der Oberarzt meinte als er am Telefon sagte, wenn sie sich verabschieden wollen, beeilen sie sich lieber. Wir sind in circa fünf stunden knapp 400 Kilometer gefahren. Es war 20 Uhr als wir ankamen. Die Corona Regulierungen galten in seinem Fall nicht mehr. Wir besuchten ihn zeitgleich zu Dritt. Wir hatten keine Formulare ausgefüllt. Wir mussten lediglich Kittel, Haube, Handschuhe und Gesichtsmaske in seinem Patientenzimmer tragen, damit wir seine stark ansteckenden Viren nicht verteilten. Es war ein Déjà-vu. Im selben Marienkrankenhaus verstarb meine Großmutter. Der Kreis schließt sich.

Das Licht im Zimmer war gedimmt und er sah so schrecklich müde aus. Unter der Decke versuchte ich seine Hand auszumachen. Wollte ihn berühren ohne ihn zu überreizen. Als ich die Seite wechselte fand ich seine Hand. Diese großen starken Arbeiterhände. Sie waren immer ein Zeugnis seiner Kraft und seines Lebenswillens. Die dicken Adern und die von der Sonne gegerbte Hautfarbe, die Behaarung wie ich sie aus unserer Familie an Männerhänden kenne, sein Finger mit fehlendem Fingernagel aufgrund einer Kriegsschusswunde.
Seine Hände sprachen Bände, ohne dass er nur einen Ton sprechen musste. Er war ausgemergelt. Die letzten Jahre in Trauer haben ihm seine letzten Reversen gekostet. Seine Familie war vor ihm verstorben. Das war nicht die natürliche Reihenfolge an die er glaubte. Wir drei Enkel waren das Letzte was er hatte an Familie. Einerseits brach mir diese Tatsache schon viel früher das Herz, andererseits ist er selbst in diesem Zustand meine alte deutsche Eiche. Er ist das Wurzelwerk auf dem wir stehen. Und so rational ich auf seinen Krankenhausaufenthalt reagiert und agierte. So sehr unterdrückte ich so viele überwältigende Gefühle. Wie sollte ich mich diesen Emotionen stellen? Ich habe den Suizid meines Vaters, seines einzigen Sohnes, gerade so angefangen zu verkraften. Und nun sind wir Enkel und mein Neffe, der Urenkel alles was diese Seite des Stammbaums noch übrig hat??! Wie sollte ich diese wuchtige emotionale Information überhaupt fühlen? Ich verstehe die Fakten und das es so kommen musste. Ich hatte sehr gehofft und gewünscht, dass mein Großvater die Hundert voll macht und uns noch ein bisschen seines Wissens abgibt, ehe er gehen würde.

Bild: Amisha Nakhwa | unsplash.com
https://unsplash.com/photos/9USlkk5z6Mg


Bezug - Sein Leben in meinem Leben

Einfach so ist in 4 Jahren und 19 Tagen mein halber Stammbaum verstorben. Mir war nie bewusst, wie unbeschwert ich war, bis ich es nicht mehr war. Ich glaube, diesmal bin ich fast emotionstaub an den nahenden Todesfall herangetreten, weil ich wusste wie kräftezehrend er werden würde. Ich konnte einfach nicht in Kurzarbeit, mitten im Umzug, mitten in meinem Chaos, in mitten meines Scherbenhaufens trauern. Ich konnte es nicht. Es ging einfach nicht. Mein Bruder hatte es letztes Jahr zu Weihnachten, das erste ohne meinen Vater, auf dem Weg zu meinem Opa prophezeit. Er sagte, es könnte sein letztes Weihnachten sein. Wir waren Jahrzehnte nicht mehr zu dritt an Weihnachten in Opas Haus gewesen. Ich frage mich, ob mein Bruder sich an seinen, an diesen Ausspruch erinnerte.


Trauer um Opa

Die Trauer kam mit voller Wucht als ich mich bedankte... Sie kam leise im Dunkeln dieses Krankenhauszimmers... Als ich seine warme aufgedunsene, aber dennoch vertraute große warme Hand berührte. Ich bin als Kind bereits seine Adern und Linien in der Hand mit den Fingern nachgefahren. Als ich seine Hand berührte wurde sein nahender Tod real. Es war unausweichlich klar. Sein Hand war gar fiebrig warm. Mein Bruder, ausgebildeter Altenpfleger, erklärte mir, dass seine erhöhte Körpertemperatur ein letztes Aufbäumen des Körpers ist zu heilen. Aber die angeschlossene Morphin-Spritze an seinem Katheter war der klare Beweis, dass er Schmerzen nicht mehr litt, aber auch sonst nicht mehr viel wahrnahm. Aber wie ich immer hoffe bei Krankenhausbesuchen und immer glauben versuche, habe ich mit ihm geredet... ohne seine Hörgeräte, ohne laute stattdessen mit wackliger Emotions ertränkter Stimme. Ich kann mich an keinen einzelnen Satz erinnern, nur daran dass ich mich bei ihm bedankte, dafür noch hier zu sein für einen Abschied, für sein beeindruckendes und nachhaltiges Leben. Er war ein einfacher Mann und doch das moralisch unverkennbare erhabene unerreichbare Vorbild. Ich ahnte warum mein Vater sich daran nie messen wollte.


Sein Alltag

Wie der große H., nach einem Kriegsherrn benannt, so komprimiert werden konnte von Alter und Zeit; Haut und Knochen und ein kleines bisschen Restmuskeln. Er hatte sich in den letzten Wochen eine Vollzeitpflegerin ins Haus geholt. Ewig hatte er autark gelebt und wollte keine Fremde im Haus, aber ab einem gewissen Punkt wurde er einsichtig. Er hatte seit Jahrzehnten eine Haushaltshilfe, aber diese schlief ja nicht in seinem Haus.

Ich hoffte die Pflegerin würde seine Lebensqualität bessern, aber da war der Abgang nicht mehr aufzuhalten. Der Johanniter-Not-Knopf am Handgelenk war nicht mehr genug. Das wusste er. Er wusste, es neigt sich dem Ende. Er war im vergangenen Jahr bereits "mit einem blauen Auge" aus dem Krankenhaus aus selbigem Grund eingeführt und kaum stabil auch wieder entlassen worden.


Todeskampf

Es hatte sich angekündigt und doch haben wir uns fast drei Stunden Zeit genommen, uns zu verabschieden und das Krankenhauspersonal ließ uns. Wir wurden nicht beäugt und nicht gehetzt. Alle kannten den Ernst der Lage. Vermutlich hatten sie nicht einmal mit Besuch gerechnet, nachdem er sich bereits einige Tagen in diesem Zustand befand, ohne uns darüber zu benachrichtigen. Er war ein Kämpfer durch und durch, aber diesen Kampf würde er verlieren. Sechs stunden später verstarb er im Morphin-Schlaf.

Irgendwie hatte ich geglaubt am nächsten Morgen vielleicht nochmal mit ihm reden bzw. ihm zuzureden zu können. Vielleicht habe ich mich selbst belogen um überhaupt aus dem Krankenhauszimmer gehen zu können um überhaupt loszulassen. Meine deutsche Eiche wie sollen wir ohne dich zurecht kommen? Die Emotionsbandbreite war schmaler als die letzten zwei Todesfälle, aber wuchtiger in ihrer Tragweite.

Bild: PIX1861 | pixabay.com
https://pixabay.com/de/photos/baum-eiche-alte-eiche-%C3%A4ste-893273/


Das Erbe

Das Familienvermächtnis wiegt schwer. Die drei entwurzelten Enkel sollen über ein Erbe schalten und walten, das auf dem Rücken etlicher Familienstammbäume steht. Der Hauptgrund für unseren neu gefundenem Wohlstand sind die gefallenen männlichen Soldaten unserer Ahnen und der eisernen, Erben bewussten und stetigen Hand meines Großvaters. Wir drei sind gnadenlos überfordert mit dieser Aufgabe, die räumlich fast 400 Kilometer entfernt von unserem Lebensmittelpunkt liegt.
Vermutlich hat dieses Verantwortungsgefühl meine Trauer unter sich erschlagen. Auch das ist ein Déjà-vu.

Damals beim Tod meines Vaters wirkte die vererbte Verantwortung größer als mein ganzes Leben selbst. So, nur um ein viel viel vielfaches größer, fühlt sich das Verantwortungsgefühl heute an.

Ich kann nur sehr vage ansatzweise den Umfang des Erbes nachvollziehen. Ich weiß nur, das es genug ist um die Fassung zu verlieren, wenn man nicht vertraut damit ist. Ich bin nicht erfreut über diesen Wert, über dieses großartige Geschenk. Jetzt empfinde ich es als Last. Ich empfinde eine neue Dimension an Schmerz, physischen wie psychischem Schmerz. Ich sperre ihn aus und verdränge ihn. Ich funktioniere für meinen Umzug, konzentriere mich auf die Aufgabe vor meinen Füßen. Ich konzentriere mich auf den heutigen tragbaren Schmerz. Und kann parallel fühlen wie der Schmerzhaufen anschwillt unter der Decke, unter der Haut, auf meiner Brust, direkt auf meinem Herzen.

7.12.20

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Montag, 23. November 2020
Beyoncé - Finde deinen Weg zurück
Dieses Lied ist aus der 2019 Neuauflage des Animationsfilms "Der König der Löwen". In dem Film geht es um den Zyklus des Lebens v.a. um die Themen Familie, Herrschaft, Väter, Aufgaben, Söhne, Pflichten, Schicksal.

Aber etwas an dem Lied macht mich sehr nostalgisch völlig unabhängig von diesem Disney Film Klassiker.
Das Lied erinnert mich an gut gemeinte Ratschläge eines Vaters, an das Gefühl von Geborgenheit, an die Gewissheit, dass Eltern bei einem sind egal wann, wie oder wo, ob als Erinnerung im Herzen oder als Sterne im All.

😇 Miss you dad, A.

28.10.20

Aus dem Englischen übersetzer Liedtext:

Vers 1
Papa hat mich immer die Straße entlanggeführt
Papa nahm meine Hand und sagte "Folge mir"
Papa hat mich die ganze Zeit nach Hause geführt
Ich wurde groß genug, um herumzulaufen, Papa ließ mich draußen

Chorus
Er sagte: "Finde deinen Weg zurück
Große, große Welt, aber du hast es verstanden, Baby
Finde deinen Weg zurück, lass dich von diesem Leben nicht verrückt machen
Finde deinen Weg zurück, komm nach Hause bevor die Straßenlaternen an sind
Finde deinen Weg zurück"

Vers 2
Papa sagte mir immer: "Schau zu den Sternen hoch
Es ist lange her, aber denk daran, wer du bist
Kreislauf des Lebens, aber eines Tages könnte es sein, dass ich es nicht schaffe"

Refrain
Papa hat mir alle meine Bewegungen beigebracht
Lauf wild herum, musste meine Schuhe binden
Kleines Kind mit einem Lächeln wie du
Wildes, wildes Kind mit einem Lächeln wie deinem
Papa hat mir alle meine Tricks beigebracht
Lauf wild herum, musste meine Probleme lösen
Papa hat mir alle meine Gebete beigebracht
Auf einem Marathon musste ich mein Rennen laufen

aus: Beyoncé "Find Your Way Back", aus: "The Lion King: The Gift", 2019 (C) Parkwood Entertainment / Columbia Records / Sony Music
Übersetzung: Anna Mestisa

Find Your Way Back by Beyoncé - Lyrics (Original)

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Donnerstag, 5. November 2020
In meinen dunkelsten Momenten
In meinen dunkelsten Momenten
taucht ein Licht, ein Urvertrauen, ein Glaube an etwas größeres immer und immer wieder zum Vorschein.

So sehr es mich ärgert, dass ich im Alltag davon oft nichts oder nur wenig spüre.
So bin ich immer und immer wieder unendlich dankbar, wenn ich kurz vorm Hinschmeißen bin, auf einmal ein bisschen Fahrtwind wahrnehme.

Woher das kommt? Keine Ahnung.
🙏🙏🙏 Danke Gott⛅👼. Danke Universum🌌. Danke Karma☯. Danke Danke Danke Familie👨‍👩‍👧‍👦👨‍👩‍👦👨‍👩‍

16.10.20

Bild: Free-Photos | pixabay.com
https://pixabay.com/de/photos/blitz-blitzschlag-gewitter-wetter-801866/

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