Mittwoch, 24. Juli 2019
Jahrestag
Eine neun Jahre alte Beziehung kennt Höhen und Tiefen. Aber keine der vorherigen Tiefen hat je an meinem Kern, meiner Persönlichkeit, meinem ganzen Sein gebröckelt.
Einen Elternteil verlieren ist wie ein Härtetest der eigenen Identität. Kannst du jetzt wirklich an allem was du bist festhalten und glauben und ausleben ohne diese Rückendeckung, ohne diesen Stützpfeiler, ohne dieses Sicherheitsnetz?
Ich bin meiner sicher gewesen und doch habe ich gezweifelt, an allem gezweifelt, und bin dann tatsächlich bei 95% meiner Schlüsse geblieben.

Meine Familie ist die, die sie vorher war, nur mit mehr Rissen und mehr Kleber. Meine Freunde sind immer noch dieselben bunten schillernden Gestalten. Mein Lebensgefährte, mein Lebenspartner, mein Gegenstück ist nach wie vor mein Schatz.

Vieles was ich gerne wäre und doch nie war sehe ich in ihm und umgekehrt. Und doch überrascht er mich immer wieder aufs Neue. Zusammen scheinen wir zumindest einen funktionierenden Menschen zu ergeben. Ich finde das macht vieles leichter. Mit Trauer muss jeder alleine klar kommen und doch könnte ich nicht dankbarer für seine Hilfe sein.
Er päppelt mich auf. Von Anfang an unserer Beziehung hat er ein Lächeln gezaubert, wo vorher Stress oder Trübsal oder Trauer war. Humor ist unser Allerheilmittel. In Zeiten wie diesen brauch man reichlich davon, mit einem gehörigen Schuss an Timing.

Jedenfalls hat sich auch bei dieser Hürde, bei diesem Prozess gezeigt; unser Rezept geht auch jetzt noch auf. Es wirkt langsamer und brauch mehr Feingefühl, kostet mehr Energie, aber wir sind immer noch wir.
Wir lieben ehrlich und lernen immer wieder aufs Neue zu kommunizieren.
Wir vertrauen auf uns als Team (auch) gegen alle Probleme.
Wir genießen miteinander zwangfreie Zuneigungen aller Art genauso wie Freiräume, die man sich gegenseitig gewährt.
Und wir teilen noch immer dieselben Prioritäten.
Daran hat sich in allen Jahren nichts geändert. Auch jetzt nicht.
Darauf bin ich immens Stolz und dafür bin ich zugleich immens dankbar.

9.7.19

Bild: David Núñez / unsplash.com
https://unsplash.com/photos/yUoNrhd3tDM

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Sonntag, 21. Juli 2019
Bittersüße Erinnerung
Mein immer wissbegieriger, immer neugieriger, immer Nase-im-Buch Vater ist nicht selten mit umgedrehten offenen Buchseiten auf dem Schoß eingedöst mit Kopf im Nacken auf der Ledercouch... Ich kann ihn vor meinem inneren Auge sehen wie er da sitzt. Immer und immer wieder dachte ich, muss das denn nicht unbequem sein? Aber dann ist er nicht selten aufgewacht oder hat genug geruht und las weiter als wäre nichts gewesen. Meinen Vater lesen zu sehen gehört zu einem meiner liebsten Erinnerungsbildern, die es so gut wie nicht auf Foto gibt, aber hundertfach ganz ganz tief drin in meinen Gehirnwindungen.

21.6.2019

Bild: www.unsere-helden.com bzw. "Wir Kinder der 90er"
by www.unsere-helden.com bzw. "Wir Kinder der 90er"

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Schmerzen eines Suizids
Dieses Zitat fand ich am 21.6.2019 in den Kommentaren des Videoclips zum Lied "1-800-273-8255" von Logic ft. Alessia Cara, Khalid

https://randysrandom.com/everyone-needs-understand/
Bild: www.randysrandom.com

Bei einem Suizid geht es dem Betroffenen so schlimm, dass die Familie oder das Soziale Umfeld auch kein Argument mehr ist zu leben. Dennoch als Hinterbliebene spricht dieses Zitat (ins Deutsche übersetzt) mir aus der Seele:

"Das Traurige ist Suizid beendet nicht den Schmerz. Er wird bloß an jemand anderes weitergereicht."

James Kirkup (1918-2009), Englischer Dichter

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Freitag, 12. Juli 2019
Hätte und Könnte
Es ist sooo schwer nicht anzufangen zich Hätte und Könntest durch zu spielen.

Es ist so leicht im Nachhinein Vorschläge zur Verbesserung zu finden.

Ich hätte dich regelmäßiger anrufen können. Ich hätte zu Omis Todestag bei dir sein können. Ich hätte dich öfter fragen können, wie es dir geht. Ich hätte dich viel mehr einbeziehen können. Ich könnte so viel mehr für dich da sein. Hätte ich auch nur ein bisschen deines Schmerzes, deines Drucks gekannt... Ich dachte, ich war da für dich. Und war es doch nicht. Ist so. War so.

Ich komme doch immer wieder an denselben Punkt. Es hätte deine Entscheidung verzögert, aber nicht zwingend verhindert.

Wenn etwas so Sensibles wie dein Lebenswille zerbricht oder zersplittert, kann ein einzelner Schlag das Ende bedeuten. Ein Schlag den ein gesunder Geist vermutlich mit Mühen überwunden hätte.

Klar ist das nur eine unbestätigte Theorie, aber dein Fehlen ist der unwiederbringliche Beweis unserer Gegenwart ohne dich.

Die ganzen Hätte und Könnte verfolgen mich. Sie verletzten mich immer und immer wieder. Es ist egoistisch zum Alltag zurück zu kehren und doch ist es richtig. Es ist richtig immer und immer wieder beim Ist anzukommen.

13.06.19

Bild: kaboompics.com / Karolina Grabowska
https://kaboompics.com/photo/8626/cliff-on-the-western-seaboard-of-algarve-praia-da-amoreira-portugal

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