Montag, 20. April 2020
Suizid: Selbstmord, Freitod und andere Umschreibungen
"Eine völlig wertneutrale Beurteilung eines Suizids ist wohl nicht möglich. Dazu geht es zu sehr an existenzielle Fragen und auch Tiefen des Menschen. Dennoch sollte im Sprachgebrauch darauf geachtet werden, dass durch bestimmte Begriffe keine unterschwellige Verurteilung mitschwingt.

Der Begriff Selbstmord drückt aus, dass es sich um einen Mord und damit um eine Straftat handelt. Über Jahrhunderte wurden Suizididenten so hauptsächlich als Täter und nicht als Opfer gesehen, was dementsprechend auch geahndet wurde: seitens der Kirchen wurden Suizididenten außerhalb des Friedhofs ohne Beisein des Pfarrers beerdigt und nach außen hin wurde der Suizid oftmals als eine plötzlich auftretende unheilbare Krankheit dargestellt. So erging es auch noch Hape Kerkeling, dessen Mutter sich 1973 das Leben nahm, als er acht Jahre alt war. Ihr Tod wurde als Hirnschlag deklariert.

Vor allem im Zuge von Amérys Forderung eines Rechts auf den eigenen Tod, hat sich der Begriff Freitod entwickelt. Doch auch hier gilt es kritisch anzumerken, ob der Mensch in der Situation des Suizids auch wirklich frei oder willig war. Der Begriff Freitod wird somit der psychischen Realität des Suizidenten, die in den allermeisten Fällen von Verzweiflung, dem Gefühl der Ausweglosigkeit, der Unfähigkeit zur sachlichen Werterfassung und der Einengung des emotionalen wie intellektuellen Wahrnehmungsvermögens bestimmt ist, nicht gerecht. Oft kommt der gefühlte Zustand eines drangvollen, inneren Zwangs hinzu.

Anstelle der Begriffe Selbstmord oder Freitod, die entweder negativ-moralisierend oder fast schon glorifizierend wirken, empfiehlt AGUS die Verwendung von Suizid oder Selbsttötung als wertneutrale Begriffe. Suizid kommt vom lateinischen "sui cadere" und bedeutet wörtlich übersetzt "sich selbst fällen". Im alltäglichen Sprachgebrauch wirkt dieser Begriff allerdings für viele noch fremd oder auch gekünstelt. Vielfach hört man daher auch Umschreibungen wie "sich etwas antun" oder "sich das Leben nehmen", was vielleicht auch ein Ausdruck dafür sein kann, dass eine gewisse Scheu vorhanden ist, sich mit dem Geschehenden auseinanderzusetzen. Gerade wenn Kindern der Suizid eines nahestehenden Angehörigen erklärt wird, sollte aber unbedingt auf umschreibende Wörter wie "eingeschlafen" oder "weggegangen" verzichtet werden, da die Kinder dadurch verwirrt werden könnten. Dazu ein Beispiel: Eine Mutter, die ihrem sechsjährigen Sohn nichts vom Suizid des Vaters sagen möchte, sondern es mit den Worten er ist eingeschlafen umschrieben hat, hat Schlafstörungen und sagt zu ihrem Sohn völlig unbedacht: „Ich kann einfach nicht einschlafen.“ Was mag der Sechsjährige da wohl denken?"

aus: Jörg Schmidt Trauer nach Suizid – (k)eine Trauer wie jede andere, AGUS-Schriftenreihe: Hilfen in der Trauer nach Suizid, Herausgeber: AGUS e.V. Bundesgeschäftsstelle, Bayreuth, überarbeitete Neuauflage 9/2018

gefunden 15.4.20

Bild: Sushuti | pixabay.com
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Freitag, 17. April 2020
"Der Blitz schlägt nie zweimal am selben Ort ein."
Diese Redewendung wurde längst wiederlegt, aber sie beschreibt meinen geistigen Zustand dieser Tage ganz gut. In einer historischen Zeit, in der ein Virus die Gesellschaft und Wirtschaft in der ich lebe lahm legt, ist nichts mehr sicher. Es gibt schlichtweg keine Garantien weder seitens des Arbeitgebers noch seitens der Regierung. In der dunkelsten Stunde ist jeder auf sich gestellt. Dieser Wahrheit muss ich wieder ins Auge sehen, nachdem mein Vater gerade mal 14 Monate verstorben ist.

Wenn man mit Suizidtrauer kämpft und sich durch den Schmerz zurück ins eigene Leben durcharbeitet, fühlt man sich stärker und ausdauernder denn je. Ja, man ist fast ein bisschen stolz auf sich einen Teil davon überwunden zu haben. (Auch wenn das heißt einen Teil von sich zu verlieren.) Aber bereit für neue Hürden im eigenen Leben ist man deshalb noch lange nicht. Im Gegenteil die meiste Zeit kämpft man sich durch den Schmerz mit dem Gedanken: "Es kann nicht mehr schlimmer kommen.". Das ist zum Teil wahr und zum Teil unwahr, denn nie wieder wird ein Suizid einen so unverhofft und gnadenlos umhauen. Aber man ist sich durchaus bewusst, dass keine Tragödie der Welt einen vor einer weiteren Tragödie schützt. Man hofft nur innständig und ganz tief in sich drin, dass jemand anderes den nächsten Einschlag abbekommt. Nicht zuletzt, weil die Wahrscheinlichkeit das ein Blitz exakt dieselbe Stelle unmittelbar wieder trifft sehr gering ist. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit das der 3. und 4. Blitz wieder die Stelle des 1. Blitzes trifft, relativ hoch ist.

In Zeiten wie diesen ist mein Bauchgefühl und mein Instinkt getrübt durch die Dauerbeschallung und Berieselung an Informationen aus den Medien, dem Flurfunk im Büro, dem eigenen privaten Umfeld.
Daher bleibt mir nur eins, auf das Beste hoffen und mich auf das Schlimmste (so gut es geht) vorbereiten. Wieder.

3.4.20

Bild: Luka Vovk | unsplash.com
https://unsplash.com/photos/EngLPePzg7U

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Montag, 13. April 2020
Unverbrauchte Liebe
"Trauer, habe ich gelernt, ist wirklich bloß Liebe.
Sie ist all die Liebe, die du geben willst, aber nicht geben kannst. All diese unverbrauchte Liebe sammelt sich in deinen Augenwinkeln, als Frosch im deinem Hals, im Hohlraum deiner Brust. Trauer is bloß Liebe, die kein Ziel kennt."


Jamie Anderson

gefunden am 14.2.20
Übersetzung: Anna Mestisa

Bild: I'm A Warrior · 13. Februar 2020
I'm A Warrior, 13. Februar 2020

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