Sonntag, 30. Juni 2019
Erinnern...
Erinnnern ist alles was Hinterbliebenen bleibt.
Am Anfang ist das nur schmerzhaft, weil es überwiegend passiv passiert. Mit der Zeit erinnert man sich aktiv an die Dinge, die ihn/sie ausgemacht haben.

Wenn er zuhörte, hat er immer direkt versucht Probleme zu lösen, anstatt mich zu bestätigen oder mit mir in der Emotion zu versinken. Er hat mein Bild geprägt wie Männer auf Probleme reagieren. Ich nahm diese Informationen hin ohne zu begreifen wie er damit meine Norm erschuff.
Er war nicht gut mit Worten im Zwischenmenschlichen, aber er hat dem kleinen Mädchen in mir immer Schutz geboten. Er versuchte die Unschuld zu bewahren, die gar nicht dafür bestimmt war zu bleiben.

Mein Vater hat mich, seine Jüngste und seine einzige Tochter anders geliebt als meine Brüder. Als Teenager habe ich genau das als Belastung empfunden, weil anderes von mir erwartet wurde als von meinen Geschwistern. Aber auch das hat mich nicht immer vor dem Leben beschützt. Das Leben sickert immer irgendwann trotz allem Schutz durch.

Als Erwachsene musste ich mir eingestehen, dass Vaters Lieblingskind gewesen zu sein schön war. Wenn er seinen Stolz nicht verbergen konnte oder ihn gar vor Dritten hofiert hat. Eigentlich war mir das unangenehm, aber ich konnte es ihm auch nicht verübeln. Ich war sein Wunschkind und dann sah ich auch noch aus wie er, so viel deutlicher als meine Brüder.
Oder wenn er meine Hilfe annahm. Wenn ich ihm als Kind beim Werkeln im Haus wie ein Streuner gefolgt bin, nur um ihm Werkzeuge zu reichen. Es hat mich glücklich gemacht, wenn ich das richtig gemacht habe und ich lernte anzupacken.
Oder wenn bei meinen Backversuchen etwas missglückt ist und mein Vater dennoch den Kuchen aß und ihm selbst die missratenen Kuchen zu schmecken schienen. Das baute mich auf.
Oder wenn er meine Teenagerlaunen beim Einkaufen ertragen musste. Meine Wut auf meine Mutter pufferte. Er hatte es trotz allem gern getan als ob mit mir allein einzukaufen eine schöne stressfreie Freizeitbeschäftigung wäre. Diese von meinen Eltern geschaffene Norm gab mir Halt und Orientierung.
Oder wenn er mir und nur mir im Alltag kleine Geschenke machte nur um mein Strahlen, meine gute Laune, mein Glück zu sehen. Das gab mir Glücksgefühle.

Ich habe viel Zeit gebraucht um zu erkennen das die leise Liebe, die unausgesprochene Liebe auch die aufrichtigste und standhafteste Art zu Lieben ist.
Vielleicht, sehr wahrscheinlich, hat er das von meiner Omi, seiner Mutter gelernt. Und ich habe nie bemerkt, ob oder wie der Tod meiner Omi ihn beeinflusst hat. Jetzt da er fehlt, weiß ich es.

Das Leben hat sich ungefragt neu sortiert und wir müssen damit Leben. Und alles was bleibt ist erinnern. Dem Tagträumer in mir fällt das leicht. Der Teil von mir kann das gar genießen. Dem Realist in mir bricht das mein Herz. Ich kann sein "Hallo Tochter" hören, aber ich weiß das es seit unserer letzten Begegnung für immer ungesprochen bleibt. Es ist völlig unbefriedigend sich "nur" zu erinnern, anstelle es wahrhaftig zu hören. DAS ist der Unterschied. DAS ist Trauer.
Und DAS ist der Beweis, dass die wiederholten selben Entscheidungen einen Charakter und einen Lebensstil ergeben und umgekehrt.

29.5.19

Bild: (C) Anna Mestisa
PRIVAT aus Opis Alben

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ZITAT: "Oder wenn er meine Teenagerlaunen beim Einkaufen ertragen musste. (…) Er hatte es trotz allem gern getan als ob mit mir allein einzukaufen eine schöne stressfreie Freizeitbeschäftigung wäre."

Das erinnert mich an ein Zitat aus dem Film "Ich bin Sam."
Der geistig behinderte Vater erklärte, dass Sorge für ihn bedeutet, auch dann ein Mal mehr ruhig und liebevoll auf ein Kind einzugehen, wenn man selber in einer Situation eigentlich keine Kraft mehr hat oder genervt ist.

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:) Vermutlich gilt das für alle Eltern.

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