Donnerstag, 19. November 2020
Der Gang zum Altar - Einer Angst die Stirn bieten
S., die Cousine meines Lebensgefährten, hat uns auf ihre Hochzeit eingeladen. Es war eine sehr schöne Hochzeit, trotz Maskenpflicht, trotz Abstandsregeln, trotz Berührungsverboten, trotz Desinfektionsmitteln. Es war eine Feier voll Herz, Familienliebe und wahren Freundschaften. Ich hatte großen Spaß mich rauszuputzen, zu schlemmen, zu tanzen, herumzublödeln und hatte sehr sehr viel zu lachen.

Ich hatte große Ängste vor der nächsten (also dieser) Hochzeitsfeier. Für jemanden, der sich diese Feier selbst wünscht, hatte ich, wie ich finde, meinen Neid relativ gut im Griff. Naja, dass ich die Braut sehr gerne habe, half natürlich sehr. Dennoch floßen mindestens die Hälfte der knackigen kirchlichen Trauung (von unter 40 Minuten) meine Tränen.

Ich habe sichtlich einige Tränen vergoßen als die Braut mit ihrem Vater den Gang zum Altar nahm. Als mein Vater starb, war es v.a. der bloße Gedanke an unseren verlorenen gemeinsamen Gang zum Alter und der Gedanke an unseren verlorenen Vater-Tochter-Tanz, die mir immer und immer wieder die Tränen in die Augen trieben. Mit seinem Suizid hatte er uns beiden diese Momente für immer genommen.

Die große Angst davor live und direkt diesen Gang bei jemand anderes anzusehen war sehr lange größer als sie es im erlebten Moment dann tatsächlich war. Ja, es macht mich immer noch traurig zu wissen, dass ich 'das' nie bekommen werde. Aber meine Freude über S. Glück war in dem Moment einfach viel viel größer als meine Trauer.

Ich konnte so ziemlich jede Aussage der Pfarrerin in der Messe über eine Gute Ehe nachfühlen. Mein Lebensgefährte und ich haben ohne Eheschwur, bereits die (ersten) fiesen und schlimmen Zeiten und Krisen durchlebt. Wir sind als wir am Ende diverser Krisen wieder rausgekommen. Ich weiß, wo wir stehen, dass es "nur" eine fehlende Formalie ist. Aber das wir beide als Zeugen in dieser Kirche saßen ohne Ehering, macht mich etwas traurig. Ich weiß, was für ein Wahnsinns Team wir sind, aber ich will es auch von meiner Familie offiziell bezeugt wissen. So sehr ich mich fürs Ehepaar R. freue. So sieht der Neid in mir eben aus. Ich empfinde dafür keine Scham oder Selbstmitleid. Ich empfinde diese Gefühle als völlig gerechtfertigt und sogar gesund.

Es ist ok, aus Trauer, Neid UND Freude zu weinen auf einer Hochzeit. Es ist ja nicht so, dass die Tränen eindeutig unterschiedlich aussehen, jemanden stören oder gar überraschen. Mein Schatz hat meine Hand gehalten bei jeder Träne und jedem Lächeln. In solchen Momenten fühle ich mein Herz wortlos zu seinem Herz sprechen.

Manche Gefühle müssen einfach gefühlt werden um (später) wieder Freude zu empfinden und um lachen zu können.
Alles danach an dem Tag war für mich pure Freude. Das spüre ich jetzt noch nach, v.a. wenn ich die Fotos und Videos dieses Tages sehe.

Es war ein wunderbarer Tag, umgeben von Liebe.

17.10.20 | 2

Foto: Benita Elizabeth Vivin | unsplash.com
https://unsplash.com/photos/R_OaxbsmDeA

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