Dienstag, 19. Mai 2020
Über Trauer
Trauer hat viele Gesichter und schleicht sich auf die unterschiedlichsten Arten an. Sie ist nicht immer nur gewaltsam und schmerzhaft. Sie kann auch bittersüß und zart sein. Trauer ist so bunt wie ein Chamäleon. Nur zeigt sie eben nicht all ihre Facetten und Farben auf einmal.

Ich habe früh gesehen wie mir nahe stehende Personen trauern (meine Mutter um ihren Vater, mein Bruder um seinen Lebensgefährten) und ich habe erlebt wie sie sich mit der Trauer verändert haben.
Von Berufswegen habe ich einiges über Bücher in dem Segment "Tod & Trauer" aus sachlicher Sicht gelernt u. a. die neutrale wertfreie Sprache; wie Stimmungsbilder Worte fixieren und materialisieren helfen; das Trauer jeden treffen kann völlig gleich welchen Geschlechts, Alters, Ethnie oder Wohlstands. Trauer ist höchstpersönlich und daher in jedem Fall individuell anzuerkennen. All diese Faktoren sind rein sachlich also nichts Neues für mich.

Aber von Innen sieht Trauer grundsätzlich anders aus als von Außen. Selbst einen schweren Verlust zu verkraften verändert Menschen. Zusehen wie jemandem so etwas geschieht ist schlichtweg passiv. Trauer ist zwar eine universelle Erfahrung, die jeden Menschen irgendwann einholt, aber sie ist ohne persönliche Erfahrung nur ein Begriff. Und dann auch noch ein Begriff der ungern im Alltag oder in der allgegenwärtigen Medienwelt aufgegriffen wird. Unsere Gesellschaft hat neben den Religionen in Form von Gemeinden und deren Friedhöfen keinen greifbaren Raum für Trauer.

Dann kommt noch der persönliche Entwicklungsprozess hinzu. In den ersten Tagen, den ersten Wochen, den ersten Jahren zeigt sich Trauer anders als nach diesen ersten Zeitspannen. Es heißt nicht umsonst: Schmerz vergeht nicht, man lernt nur mit ihm zu leben.
Ich halte einen Vergleich mit dem Verlust eines Organs hier für sehr treffend. Man kann z. B. mit einer statt zwei Nieren Leben, aber man ist schlichtweg angreifbarer. Man verliert einen Teil seiner Sicherheit und seiner Unbeschwertheit mit diesem Organ. Genauso ist es mit dem Verlust einer nahestehenden Person. Die Psyche verliert an Halt ohne diese vertraute Person. Man muss also lernen ohne diese Person klar zu kommen. Je weiter man in diesem Prozess ist, je besser lassen sich die Trauer und der zugehörige Schmerz aushalten. Dennoch wird es immer Aktivitäten geben, die man nun nicht mehr wahrnimmt. Diese sind zu gefährlich, zu schmerzhaft oder lösen unwohl sein aus. Bei einer fehlenden Niere genauso wie bei einer fehlenden Person können z.B. übermäßiger Alkoholkonsum unschöne Ereignisse, Gefühle oder Schmerzen provozieren, die schwer auszuhalten sind.

Daher spreche ich häufig von einem "Vorher" und einem "Nachher". Es gibt ein Leben vor dem Einschlag und ein Leben danach. Es handelt sich um die emotionale Äquivalenz zu gesellschaftlichen Ereignissen in Größenordnungen wie z. B. die Erkenntnis des Klimawandels 2019, dem Anschlag auf das World Trade Center 2011, dem Zweiten Weltkrieg 1939. Für mich persönlich war der Tod des Vaters meines erwachsenen Patenkindes 2017 so schlimm wie die Erkenntnis des Klimawandels, der Tod meiner Großmutter 2016 war für mich schwer wiegend wie der Anschlag auf das World Trade Center und der Tod meines Vaters 2019 hat alles für mich verändert wie es der Zweite Weltkrieg für unsere Gesellschaft hat.
Vor dem Tod meines Vaters hatte ich ein starkes Sicherheitsgefühl; musste weniger Verantwortung schultern; war deutlich Risikofreudiger. Nach dem Tod meines Vaters bin ich verängstigter durch mein Leben gegangen; ich musste Verantwortungen tragen lernen, die mir zu schwer waren; ich hatte die Zuversicht für meine Zukunft eingebüßt und begriffen wie kurz das Leben ist.
Vor allem musste ich unglaublich viele meiner Reserven für etwas aufopfern das unausweichlich und wie durch höhere Gewalt verursacht war. Alle Ziele in meinem Leben wurden einfach so auf Null gesetzt oder in eine Kiste tief im Schrank vergraben und auf unbekannte Zeit aufgeschoben. Ich fühlte mich meines Lebens enteignet. Als müsste ich mir jeden Zentimeter in meinem Leben zurück erobern.

Jemanden verlieren, der einem so viel bedeutet, bedeutet Evolution im Zeitraffer durchleben sowie zugleich unerträglichen Stillstand aushalten. Manchmal wechseln sich diese völlig gegensätzlichen Zustände tageweise ab. Und irgendwann setzt beides vorübergehend aus. Irgendwann setzt beides mehr und mehr aus. Irgendwann setzt beides völlig aus und setzt aus dem Nichts wieder ein, weshalb ich den Begriff Trauerwelle so passend finde. Wellen kommen mal stärker, mal schwächer, meist im Doppeltakt. Und sie folgen der Ebbe und der Flut. Zwar kann Trauer in Zyklen erscheinen, so wie ich in Zyklen Kontakt mit meinem Vater hatte, aber sie kann auch aus dem nichts erscheinen und mir eine schöne Sache versauen. Erst mit der Erfahrung und mit der Akzeptanz des nicht-kontrollieren-Könnens, erreichte ich einen erträglichen Zustand, auch mit schweren oder leichten Trauerwellen. Mein emotionaler Reifegrad hat sich mit dem Verlust meiner Großmutter und einem schwierigen ersten Trauerjahr merklich verändert. Aber einen immens großen Sprung hat dieser Reifegrad vor allem mit dem Verlust meines Vaters gemacht.
Je mehr ich erfahre und erlebe, je mehr begreife ich loszulassen und in mir zu ruhen. Ich bin kein Mönch, natürlich habe ich Reaktionen und Ausraster, aber ich bin seither jemand anderes oder sagen wir ich bin noch mehr ich geworden: Ich verzeihe noch schneller. Ich graule weniger. Ich vertraue mehr in meine Instinkte und mein Bauchgefühl.

Trauer ist weder gut noch schlecht. Sie ist Teil der Natur, Teil des Lebens und nun auch ein wichtiger Teil meines Lebens.

13.05.20

Bild: The Mind Unleashed · 14. Oktober 2019
mehr unter: Celeste Roberge Homepage
The Mind Unleashed · 14. Oktober 2019

„Das Gewicht von Trauer. Dieses außergewöhnliche Künstlerin (Celeste Roberge) hat einen Weg gefunden das körperliche Gefühl von Trauer zu vermitteln.“

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Donnerstag, 7. Mai 2020
Zoey's Extraordinary Playlist
In der neuen Serie "Zoey's Extraordinary Playlist" geht es um Zoe, die bei einer Untersuchung durch ein Erdbeben gestört wird. Nach dieser Untersuchung kann sie die persönlichsten Gedanken und Gefühle ihrer Mitmenschen in Liedform hören. Diese "Gabe" erhält sie kurz nachdem sie von der Nervenkrankheit ihres Vaters erfahren hat.
Zoe kommt ihrem Kollegen Simon in der ersten Staffel sehr nah. Simon hadert mit seiner Trauer um seinen durch Suizid verstorbenen Vater.

Diese Musical/Komödie/Drama Serie ist natürlich für Genre Fans am meisten sehenswert. Ich empfehle Sie aber für jeden, weil das Leben genauso wild und unberechenbar ist, wie es hier dargestellt wird. Ereignisse wie Krankheiten, Suizide, Beförderungen und Familienhöhen wie Tiefen kolidieren im wahren Leben auch ohne Vorwarnung miteinander.

Mir persönlich gefällt wie in dieser Serie ein trauernder Sohn nach Suizid des Vaters ohne Übertreibungen und ohne Kaschieren der Gefühlswelt portraitiert wird.

Mehr dazu unter Sky Serienbeschreibung
und Stuttgarter Zeitung Serienbeschreibung


Bild: (C) National Broadcasting Company (NBC) / Lionsgate Television / Sky TV

Bisher ist für mich die emotionalste Szene als Zoe für ihren Vater singt, nachdem sie die Nachricht erhalten hat, dass er nur noch wenige Wochen zu leben hat.

4.5.20


"How Do I Live" Video Clip
aus: Zoey's Extraordinary Playlist, Staffel 1, Folge 8
(C) National Broadcasting Company (NBC) / Lionsgate Television


"How Do I Live" Lyrics

"How do I
Get through one night without you?
If I had to live without you
What kind of life would that be?
Oh I
I need you in my arms need you to hold
You're my world my heart my soul
If you ever leave
You would take away everything good in my life.

And tell me now,
How do I live without you?
I want to know,
How do I breathe without you?
If you ever go,
How do I ever, ever survive?
How do I, how do I, oh how do I live?"

aus: "How do I live" von Leann Rimes 1997, Curb Records / Warner Music Groupe

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Dienstag, 28. April 2020
Fortschritte alias Lebensereignisse
Manchmal, so wie gestern, unterhalte ich mich mit Freunden oder Bekannten, die ich länger nicht gesehen oder gehört habe. Aus den vielen Neuigkeiten entsteht ein Vorher-Nacher-Bild meiner Freunde und ich frage mich wo die Zeit bloß geblieben ist. Diese Frage nach der Zeit ist gar nicht reumutig oder verbittert, sondern lediglich verwundert. Ich freue mich mit meinen Freunden über ihre jeweiligen Fortschritte (Schwanger, Berufliche Selbstständigkeit, Verlobt). Nach dem Gespräch wundere ich mich, warum es bei mir keine großen Neuigkeiten gibt, während meine Freunde Lebensereignisse zelebrieren.

Und dann fällt mir in meiner besten Laune wieder ein, dass ich vor kurzem noch eine Tragödie zu verarbeiten hatte. Ich habe den Tod meines Vaters während dem Gespräch völlig ausgeblendet. Nicht weil ich dieses "Lebensereignis" verdrängt habe, sondern weil ich so sehr aufs zelebrieren meiner Freunde konzentriert war.
Ich habe es nicht laut gegenüber meinen Freunden ausgesprochen, aber ich bin stolz auf mich mein Leben in seinem jetzigen Zustand (ohne Ehering, ohne Kind, ohne Haus, ohne Beförderung) lieben zu können. Ich bin stolz auf meinen geistigen Zustand; im Reinen mit mir, meinem Mann, meinem Leben zu sein. Das war kein leichter Weg hierher.
Eine Tragödie, wie die in meinem Leben, kann ein Leben nachhaltig zerstören. Manche Menschen erholen sich nicht von so einem Verlust.

Der Geburtstag meines verstorbenen Vaters steht vor der Tür und mein Geist ist ruhig, ja ausgeglichen, gar friedlich. Wenn das kein Grund zum feiern ist, weiß ich auch nicht weiter.
Man bekommt für seine geistige Genesung kein großes Geschenk, Grußkarten oder wird gar gefeiert von anderen. Aber das ist auch gar nicht nötig.
Ich feiere mich selbst, während ich plane wie ich meinem Vater an seinem Grab zum Geburtstag gratulieren werde.

Fortschritte und Lebensereignisse muss jeder für sich selbst bewerten. Denn die Menschen, die einem gratulieren, sind nicht die Gesichter, die man jeden Morgen und jeden Abend im Spiegel ertragen muss oder lieben kann. Es ist mein eigenes Gesicht in der Reflexion des Spiegels. Es hat sein Lächeln wieder gefunden.

27.4.2020

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Montag, 13. April 2020
Unverbrauchte Liebe
"Trauer, habe ich gelernt, ist wirklich bloß Liebe.
Sie ist all die Liebe, die du geben willst, aber nicht geben kannst. All diese unverbrauchte Liebe sammelt sich in deinen Augenwinkeln, als Frosch im deinem Hals, im Hohlraum deiner Brust. Trauer is bloß Liebe, die kein Ziel kennt."


Jamie Anderson

gefunden am 14.2.20
Übersetzung: Anna Mestisa

Bild: I'm A Warrior · 13. Februar 2020
I'm A Warrior, 13. Februar 2020

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Donnerstag, 9. April 2020
Meinen Vater kennen lernen - Angst vorm Vergessen
Mein Vater konnte egal aus welchen Resten eine Tortellini Soße zusammen rühren. Diese war nie kulinarisch herausragend, aber jedes Mal schmeckte sie mir und sie schmeckte immer auch nach Vaters Note, wie aus seiner Hand.

Er ließ sich erst vom Profi Handwerker helfen, wenn er gar nicht mehr weiter wusste. Ob Lampen, Ofen, Waschmaschine, Möbelstück, Fenster, Auto usw. usw. usw. mein Vater versuchte immer erst alles selbst zu reparieren, ehe er im äußersten Fall einen Handwerker bestellte und das in Zeiten lange vor YouTube. Mein Vater hatte sehr viel praktisches Wissens durch den Hausbau seiner Eltern in seiner Kindheit und Jugend gelernt und angewendet. Daher war es nur logisch, dass wir Kinder von klein auf unserem Vater bei Reparaturen oft helfend zur Hand gehen mussten.


Vater verfolgte im Stillen jeden meiner Social Media Posts, jeden meiner kläglichen Schritte auf Slam-Bühnen oder in Keller-Studios und er sammelte alle Aufnahmen und Fotos von mir, die er fand. Er war einfach immer da, wenn ich ihn brauchte. Feierte mit wenn ich die Familie einbezog. Er war so nah dran an mir und mir war das nie so richtig bewusst.

Umgekehrt war es schier unmöglich für mich meinen Vater zu animieren über seine Kindheit oder Jugend zu erzählen. Aber er konnte immer stundenlang über Technisches, über aktuelles Politikgeschehen, über Kulturen oder Geschichte erzählen und mit jedem diskutieren.
Er war in der Lage sich begeistern und beeindrucken zu lassen von Erfindungen, Lebenskünstlern, die wahrlich seinen Respekt verdienten aufgrund ihres Könnens. Aber er feierte auch die kleinen Errungenschaften des Lebens wie Gadgets wie Pocket Scanner oder Streichkissen für Wandfarbe oder wie besondere Jogurt Geschmackrichtungen oder neue Milch- und Molke Drinks.

Mein Vater war eigentlich nie ein Geheimniskrämer. Er nahm sich nur selbst nicht so wichtig. Ihm war Mode egal, obwohl er früher beruflich die schicksten Anzüge trug und tragen musste. Auch fuhr er seit ich denken kann nur Gebrauchtwagen. Materiell investierte er eigentlich nur in seine Sammlungen: Modelautos und Modeleisenbahnen.
Selbst seine anderen großen Sammlungen (Werkzeuge, Musik, Konzerte, Dokumentationen, Bücher und E-Books) führte er ohne unnötig Geld auszugeben. Indem er viel aus der Bücherei kopierte oder online kostenlos sammelte oder preiswerte Sonder- oder Sammelausgaben diverser Magazine und Buchreihen jagte.

Mein Vater war leidenschaftlich wissbegierig und ein Vollzeit Sammler. Im Prinzip ist er mein Archetyp eines Geeks und Fans.

Er hat uns Kinder immer zum Lesen animiert durch seine pure Lesefreude. Mit ihm allein in die Bücherei zu gehen und mir selbst meine Lektüre auszusuchen, während er selbiges Tat war eine der wenigen unserer Vater Tochter solo Aktivitäten als ich klein war. Meine Mutter erzählte mir später, dass mein Vater sich schwer tat sich mit uns Kindern allein zu beschäftigen. Er arbeitete viel. Das war in meiner Kindheit und Jugend noch das normale Familienmodell. Vater bringt die Brötchen heim und Mutter sorgte für Ordnung um und am Tisch.


Daher kann ich nicht behaupten, dass ich zu wenig Zeit mit meinem Vater verbracht habe. Ich habe genug Zeit mit ihm gehabt um seine kulinarische Neugier auf Straßenfesten nachzuahmen. Ich bin ebenfalls von Miniaturwelten und Modelbauten fasziniert. Seine Revell Auto-Bausätze und meine Barbies hatten mehr gemeinsam als viele ahnen. Man denke nur an die vielen Kleinstteile in beiden Welten...

Immer wenn ich fürchte meinen Vater und was ihn ausmachte zu vergessen, stelle ich fest, dass ich und meine Brüder jeder auf seine Art vieles von dem wie wir sind und was uns begeistert von ihm haben. Ein Teil von ihm wird mir immer bleiben, egal wie viel Zeit verstreicht. Die Angst selbst die Erinnerung an ihn zu verlieren schrumpft mit wachsendem zeitlichen Abstand zu seinem Todestag.

Mein Vater hat viele Lehren hinterlassen und viel in mir geprägt. Das bleibt mir mein Leben lang, Vergessensängste hin oder her.

20./24./27.3.20

Bild: Anuja Mary Tilj | unsplash.com
https://unsplash.com/photos/zdDrJaOjbwg

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Montag, 6. April 2020
Ironie
Tragödien ergeben keinen Sinn. Dafür sind sie immer zu emotional behaftet. Aber jede Erfahrung und jede Tragödie, egal wie wir sie annehmen, lehrt uns etwas. Keiner hat gesagt das die erfahrene Lehre schön ist. Geprägt hat mich meine Familientragödie dennoch für immer. Ich bin einfühlsamer für die Gebrochenen und die Ungebrochenen sind mir inzwischen gleichgültiger geworden. Sie stoßen früh genug zu uns Gebrochenen.

6.4.20

Bild: I'm A Warrior · 15. Januar 2020
I'm A Warrior · 15. Januar 2020

"Das Leben ist so ironisch. Es braucht Trauer um Glück zu kennen, Lärm um Stille zu würdigen und Abwesenheit um Präsenz wertzuschätzen."

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Donnerstag, 2. April 2020
Appetitlosigkeit
Als du starbst, lief mein Leben die ersten Stunden wie im Film ab. Als ob ich nur zusehe und gar nicht wirklich hier bin. Da bin. Es war zu absurd. Es war so surreal. Es konnte schlichtweg nicht sein.
Ich werde nie den Schmerz vergessen auf der Polizeiwache als ich das erste Mal deinen gequetschten Verlobung- und Ehering mit winzigen Blutspritzern in eine Plastikfolie gehüllt in der Hand hielt. Seit ich denken kann, hast du diese zwei Ringe nie abgenommen, weil du das nie wolltest noch konntest (physisch wie psychisch).
Bis zu dem Moment hat mein Hirn aus Schutz oder Überlebensmechanismus alle Puzzelteile noch als Systemfehler oder Missverständnis zu deuten versucht z.B. Die Polizisten bei dir zuhause, die Bademantel und Zahnbürste für DNA Tests mitnahmen; Dein Auto gemeinsam mit Polizei abholen und mit meinem Bruder heimfahren aus der Nähe der Unfallstelle; Dein Handy mit meinen ungelesenen besorgten Nachrichten an dich darauf in Händen halten. Erst mit den zwei verbeulten Gold Ringen ist es richtig zu mir durchgesickert. Erst da ist der aller letzte Groschen gefallen. Erst da ist meine aller aller letzte Hoffnung im Keim erstickt.

Die Zeit blieb stehen oder viel mehr lief mein Leben in einer anderen Zeitzone weiter als das Leben meiner Umwelt. Als ob irgendwer den Beat skippen würde auf der gigantischen Vinylplatte meines Lebens.
Jahreszeiten nahm ich nicht wahr. Uhrzeiten nahm ich kaum wahr. Wenn überhaupt, konnte ich registrieren das Sonnenlicht da war und dann wieder nicht.

Dadurch wurde Schlafen und Essen zu belanglosen Nebensächlichkeiten. Meine Nächte schwankten zwischen 4 und 7 Stunden Länge. Wieder einschlafen war einfach unmöglich. Meine Gedanken wollten einfach keine Ruhe geben. Es gab nur schmerzgetränkte oder völlig hohle Gedanken in mir.
Und ähnlich war es mit meinem Essverhalten. Ich hatte meinen Appetit völlig verloren. Erstmals in meinem ganzen Leben konnte ich Hunger ganze Tage vergessen, nicht aus Ärger, sondern aus Leere. Wo soll Hunger herkommen, wenn nichts regulär funktioniert in mir.

Ich aß bescheidene Portionen aus sozialer Norm oder Überfraß mich völlig sinnlos auf der Suche nach Wärmegefühlen. Meist machte mich dieses Überfressen nur müde und hörte relativ schnell wieder auf. Ich nahm weder zu noch ab, aber die Farbe in meinem Gesicht ging verloren. Mein Lebenshunger war verschwunden. Mein kultureller, genussvoller, neugieriger, gemeinschaftlicher Ausdruck im Essen war nicht aufzufinden. Essen verkam zu einer Sache, die man tun muss um zu (über)leben, zu arbeiten, zu funktionieren.

Ich war taub. Magentaub. Etwas das mir nur in einer sehr sehr viel abgeschwächter Art von einem einzigen Liebeskummer bekannt war. Es entsprach mir schlichtweg nicht.
Ich war kraftlos, lustlos, hoffnungslos. Und auch nur der Gedanke, wie ich dagegen ankämpfen könnte, war mir zu viel. Ich akzeptierte diese Umstände einfach. Ich ließ meinen Fressattacken und meinen Hungerphasen freien Lauf. Was dem eigenen Leben Farbe und Freude verleiht, muss im Leben jeder selbst rausfinden. Ich hatte meine Freude aus dem ahnungslosen Nichts verloren.

Ich stand völlig neben mir. Von null auf 180. Ohne jeden Dämpfer. Ich war jemand anderes geworden. Was für eine schmerzhafte und seltsame Erfahrung.

26./27.3.20

Bild: Kerem Suer | unsplash.com
https://unsplash.com/photos/Oe5bXf5CUTU

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Montag, 30. März 2020
Ein Sinn für Humor...
Dieser Ausspruch ist meiner Erfahrung nach wahr. Egal wie viele Resourcen, Reserven und Unterstützung ein Mensch hat, ohne eine positive Einstellung wird kein Schmerz der Welt nachlassen oder erträglicher.
Und Menschen müssen einfach mal lachen um bei Verstand zu bleiben.

The Mind Unleashed · 5. Februar 2020

Bild: The Mind Unleashed · 5. Februar 2020

5.2.20 gefunden

Ein Sinn für Humor ist entscheidend für dein Überleben. Sicherlich brauchst du Essen, Wasser, Schutz und andere Sachen wie diese. Aber ein Sinn für Humor ist was deine Scheiße beisammen hält, wenn das Leben sich wie ein Wichser gibt.

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Montag, 23. März 2020
Ich nehm dich mit
Ich nehm dich mit
Auf jedem Meter und in jeder Sekunde
Trage reuefrei meine verheilte Wunde

Ich nehm dich mit
Weil ich gar nicht anders kann
Zu viel von dir in mir drin und dran

Ich nehm dich mit
Wie einen Talisman, der mich ermahnt,
wie kurz das Leben ist
Und das man dennoch seine liebsten Teile
daran niemals vergisst

Ich nehm dich mit
Wie ich alle meine Ahnen und Vorfahren
in meinen Venen mittrage
Alle ihre Schuld und all ihr Schaffen
nehm ich mit auf die Herzenswaage

Ich nehm dich mit
Mit jedem schmerzlichen und mit jedem herzerwärmenden Schritt

Ich nehm dich mit
Weil Vergessen keine Deutsche Tugend ist
Weil der Mea-Culpa-Schwur für immer misst

Ich nehm dich mit
Weil Liebe nicht mit dem Tod verendet
Sie auch noch darüber hinaus blendet

Ich nehm dich mit
Weil du immer mein Vater bleibst
In welcher Sphäre du dich auch rumtreibst

Ich nehm dich mit

11.3.20

Bild: Peggy_Marco | pixabay.com
https://pixabay.com/de/photos/herz-kette-valentinstag-andenken-1049645/

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Donnerstag, 19. März 2020
Partner Verlust
"Nachdem das Schlimmste geschehen ist, lernte ich auch, dass alles andere im Leben sehr viel klarer wird. In den Momenten nach Phils Tod, bewegte sich mein Hirn eine Meile pro Minute. Wahrscheinlich nur durch das Adrenalin, dass durch ein unglaublich traumatisches Erlebnis ausgelöst wurde, habe ich mich so viel selbstsicherer gefühlt und auch wie ich in der Welt fungierte v.a. in Bezug auf was ich will. In diesen frühen Momenten mussten Entscheidungen getroffen werden, inklusive mit wem will ich mich umgeben und wie will ich meine Tage verbringen. Dieses Adrenalin und dieser Sinn nach meinem Selbst begleitete mich die ersten Wochen des Schocks, durch mein erstes Trauerjahr und bis zu der Person, die ich jetzt bin. Ich fühle mich stärker mit jedem ausgesprochenen Nein und beim Fällen von schweren Entscheidungen…
Die Erfahrung Phil zu verlieren war wie ein Weckruf: Das Leben ist kurz. Ich fühle mich jetzt mehr mit meiner Familie verbunden denn je zuvor. Ich wertschätzte die Freunde und die Unterstützung in meinem Leben, weil ich es ohne sie nicht dadurch geschafft hätte…"

aus: Alex Morales, What losing my boyfriend when I was only 30 taught me about grief, HelloGiggles in the InStyle Beauty Group and Meredith Corporatio
Übersetzung: Anna Mestisa

gefunden am 2.3.2020

Neil Thomas | unsplash.com
https://unsplash.com/photos/SIU1Glk6v5k

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